Börsengang der Bahn zumindest verschieben
Badische Zeitung vom 04.10.08 über den Besuch von Winne Hermann bei den Lörracher Grünen


Badische Zeitung vom Samstag, 4. Oktober 2008

Grüne: Börsengang der Bahn zumindest verschieben

Grüne wählen Delegierte für Landesparteitag / MdB Hermann erwartet große Verzögerungen beim Bau des dritten und vierten Gleis

LÖRRACH (alb). Hamburg als Bauplatz eines Kohlekraftwerkes, Berlin als Bühne des Börsengangs der Bahn, New York als Zentrum der Finanzkrise und Peking als Olympiastadt: Das sind vier politische
Kristallisationspunkte, die die Grünen dieser Tage bewegen — auch auf der Kreismitgliederversammlung im Lörracher "Nellie Nashorn" . Zwar wurden dort auch Regularien bewältigt: So wählte die Versammlung unter anderen fünf Delegierte (Josha Frey, Ingrid Pross, Matthias Lautenbach, Margarete Kurfeß und Kurt Merz) für den Landesparteitag, der Ende nächster Woche die Landesliste zur Bundestagswahl 2009 beschließen wird. Inhaltlicher Kern aber war der Bericht des Bundestagsabgeordneten (MdB) Winfried Hermann und dessen Positionen.

Zum Beispiel zum Konflikt um das in Hamburg geplante Kohlekraftwerk, das die Grünen trotzt Regierungsbeteiligung nicht mehr verhindern können — auch wenn das versprochen worden war. Hier seien Spielräume offenbar überschätzt worden. Daraus resultiere nun ein "Glaubwürdigkeitsproblem" , räumt Hermann ein. Das Aus der ersten schwarz-grünen Koalition auf Länderebene steht für den zum linken Parteiflügel zählenden Tübinger indes nicht zur Debatte. Denn ein grüner Rückzug aus der Regierung wäre "ein Kniefall" vor dem Stromversorger Vattenfall, der dann ein leichtes Spiel hätte; zudem habe sich der Koalitionspartner CDU fair verhalten und nicht ins Verfahren eingegriffen. "Von daher haben wir schlechte Karten" , so Hermann.

Genauso "schlechte Karten" sieht der MdB derzeit für den Börsengang der Bahn und das unabhängig von grundsätzlichen Fragen und Zweifeln. Angesichts der Entwicklung an den Börsen drohe in jedem Fall die Verschleuderung von Gemeingut. Deshalb müsse der Börsengang verschoben werden, so der MdB. Darüber hinaus steht er dem Vorhaben auch grundsätzlich skeptisch gegenüber: Denn die Privatisierung stelle den "Verkehr unter Renditedruck" . In Folge sei zu erwarten, dass unrentable IC- und ICE-Strecken stillgelegt würde und das treffe mehr als viele dächten. "Mit dem Börsengang droht das Ende des Fernverkehrs in der Fläche" , mutmaßt Hermann — mit negativen Folgen vor allen für
mittelgroße Städte wie Konstanz. "Deshalb brauchen wir ein Fernverkehrsgesetz" , forderte der Grüne.

Düster malte der MdB auch den Ausbau der Rheintalbahn. Beim gegenwärtigen Bautempo werde das dritte und vierte Gleis erst 2030 fertig statt wie vertraglich vereinbart 2018. Dafür sei zum Teil die Bahn mit ihrer "unsozialen Planung" verantwortlich, die Einsprüche provoziere. Hier müsse der Bund endlich seine "Eigentümerverantwortung wahrnehmen" , so Hermann. Darüber hinaus stünden aber auch zu wenig Mittel bereit für den Ausbau der Infrastruktur, obwohl diese angesichts des wachsenden Verkehrsaufkommens zu kollabieren drohe.

Konsensfähig ist für den Grünen dagegen die Linie der Bundesregierung in der Finanzkrise und vor allen die Stützung des Baufinanzierers Hypo Real Estate. Da dort viele Kommunen, Genossenschaftsbanken und Versorgungswerke engagiert seien, wären die Folgeschäden einer Insolvenz volkswirtschaftlich gesehen viel teurer als die gewährten Bürgschaften. Andererseits aber, so Hermann weiter, müsse diese Intervention begleitet werden von mehr Regulierung und Kontrolle der Finanzmärkte — bis zum Verbot von Spekulationstechniken wie Leerverkäufen von Aktienpaketen.
"Die neoliberale Ideologie ist widerlegt" , so Hermann.

Überraschend positiv fiel schließlich auch das Fazit der Olympiade in Peking aus. Zwar sei die Stadt fraglos auf Kosten des gesamten Landes aufgehübscht worden und die Freiheits- und Menschenrechte entsprächen keineswegs den Standards westlicher Demokratien. Gleichwohl sei in China ein Modernisierungsprozess in Gang, der die Zivilgesellschaft stärke und es gebe auch in der Regierung starke Strömungen, die diese Prozesse förderten und stützten.


 

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