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Kein Gesetz nur für Doofe - Vom richtigen Umgang mit dem nächsten Ozonalarm

von Hermann Keßler und Winfried Hermann, MdB, aus dem Jahr 99

Um es vorneweg zu sagen: Der nächste Sommersmog kommt bestimmt und es wird ein grüner sein! Nach einem Jahrzehnt der drastischen Angriffe auf die Umweltminister des Kohl-Kabinetts, nach den jährlichen Protesten der bündnisgrünen Bundestagsfraktion mit Gasmasken, Transparenten und Flugblättern, mit Anträgen, Anfragen, Anfragen, Anfragen ... sind die Grünen bundespolitisch so sehr mit diesem tückischen Stoff verbunden, daß sie in Medien und Öffentlichkeit als dessen Totengräber gelten.

Tatsächlich hatte Trittin bereits am 10. März diesen Jahres ein Strategiepapier zur Expertendebatte vorgelegt. Schließlich läuft das 1995 nach langem Hickhack erlassene “Ozongesetz” Ende diesen Jahres aus. Rasches Handeln tut also not. Nach seinem Papier soll die Bundesrepublik in zwei großflächige “Nord”- und “Süd”-Cluster eingeteilt werden. Für den Fall, daß 25 Prozent der Meßstellen in einem der beiden Cluster mehr als 180 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft messen, soll für diesen Cluster ein flächendeckendes Tempolimit in Kraft treten: Für PKW Tempo 100 auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Für LKW und Busse sollen 60, bzw. 50 km/h das Ende der Tempostange sein.

Zum Vergleich: Die geltende Sommersmogverordnung sieht ab einer Konzentration von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ein drastisches Fahrverbot für PKW ohne Katalysator vor. Hört sich gut an, ist jedoch schlecht: Der Wert ist so hoch gewählt, daß ein Ozonalarm nahezu ausgeschlossen ist. Bisher wurde er gerade einmal erreicht. Erschwerend kommt nämlich hinzu, daß diese Überschreitung gleichzeitig bei drei verschiedenen Meßstellen gemessen werden muß und die müssen auch noch zwischen 50 und 250 Kilometer voneinander entfernt stehen. Genügend Hürden also, um nicht wirklich handeln zu müssen.

Dabei ist Ozon durchaus nicht harmlos, schließlich handelt es sich um einen Stoff mit hoher Toxizität und nicht etwa nur um ein Reizgas.

So führt Ozon besonders bei Kindern, Asthmatikern und alten Menschen zu Lungenfunktionseinbußen. Bereits geringe Konzentrationen können ähnlich wie Röntgenstrahlen Chromosomenbrüche verursachen. Ozon gilt daher nicht nur als “begründet krebsverdächtig”, sondern auch als gentoxisch.

Aus gutem Grund haben daher die UN-Weltgesundheitsorganisation WHO einen “Warnwert” von 120 und die EU einen “Gesundheitswert” von 110 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft beschlossen.

Nach der geltenden Verordnung tritt ab einem Wert von 180 erst einmal eine Vorwarnstufe in Kraft.

240, 180, 120 - welche Realität steht hinter dieser babylonischen Vielfalt? An einem schönen Sommertag kann man vormittags lange einen Pegel um die 80 bis 90 messen. Unter der hohen UV-Strahlung reagieren dann die Vorläuferstoffe wie in einem Schneeballsystem mit immer höherer Geschwindigkeit zu Ozon. Bei 180 ist diese Reaktion schon lange nicht mehr aufzuhalten. Wer hier noch mit Fahrverboten oder Tempolimits kommt, kann die Konzentrationsspitzen nicht mehr vermeiden (wohl aber deren Dauer).

Die Vorläufersubstanzen, das sind Stickoxide (aus dem Verkehr und den Feuerungsanlagen) und flüchtige organische Kohlenwasserstoffverbindungen (aus dem Verkehr und der Lösemittelverwendung). Deren Eintrag in die Atmosphäre gilt es also zu reduzieren, wenn man Ozonsmog verhindern möchte.

Eindeutige Verhältnisse also, so könnte man denken. Doch obacht: “Zwar heißt es im rot-grünen Koalitionsvertrag noch lapidar “Die Sommersmogverordnung wird novelliert”. Doch kaum hatte der Umweltminister sein Strategiepapier verbreitet, war die Aufregung groß. Während der Verband der Automobilindustrie noch “unnötigen Aktionismus” anprangerte, prophezeite die F.D.P. gar ein neues Trittinsches “Waterloo”. Da wollte wohl auch der “Kanzler aller Deutschen” nicht abseits stehen. Der spätestens nach dem europäischen Eklat um Piech-Schröders Blockade der fertigen Altauto-Richtlinie nicht mehr unverdächtige “Kanzler aller Autos” beschied kurz und bündig: “Mit mir nicht!”

Was also tun? Zunächst einmal: Das Umweltministerium hat die Ozonnovelle nicht aufgegeben. Die Notwendigkeit einer neuen Verordnung betont es Schritt auf Tritt. Nicht nur den Ausnahmecharakter des heutigen Smogalarms, auch seine “Schleichwege” sind ihm zuwider: “Nur diejenigen durften [nach der geltenden Regelung, d.A.] nicht fahren, die zu doof waren, sie eine Ausrede auszudenken”, so der Umweltminister. Das waren immerhin ca. 15 Prozent aller Autofahrer.

Wir brauchen also rasch eine Neuregelung, weil die alte ausläuft - ob mit oder ohne Schröder. Die Idee des Tempolimits ist der richtige Weg und einfacher zu kontrollieren, als das Fahrverbot mit vielen Ausnahmen (Pendler, Urlauber, Wirtschaftsverkehr etc.).

Nach unseren Vorstellungen muß die neue Sommersmogverordnung ein allgemeines Tempolimit bei Überschreitung eines zu bestimmenden Grenzwertes beinhalten.

An diesem Punkt fordern wir eine kräftige Nachbesserung des BMU-Strategiepapiers:

- Da bei 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft der Reaktionsmechanismus der Ozonentstehung bereits voll im Gang ist, fordern wir einen Grenzwert von 120 (als Stundenmittelwert). Damit läßt sich nicht nur die Dauer der Überschreitung verkürzen, sondern auch so manche Ozonspitze bereits im Vorfeld verhindern. Die Bevölkerung muß bereits früher über die Medien (Verkehrsfunk, TV-Nachrichten) gewarnt werden. Das Tempolimit/Fahrverbot gilt dann - wie gehabt - für den folgenden Tag, wenn kein Wetterumschwung zu erwarten ist.

- Kraftfahrzeuge ohne Katalysator würden nach dem BMU-Entwurf künftig aus dem Fahrverbot herausfallen. Wir fordern, daß diese “alten Stinker” beim Inkrafttreten des Ozon-Tempolimits in der Garage stehen bleiben müssen. Dies kommt der Gesundheitsvorsorge, der Umwelt und nicht zuletzt auch dem technischen Fortschritt zugute.

Der Umweltminister muß sich gegen den Autokanzler durchsetzen. Die Umweltpolitiker beider Bundestagsfraktionen haben ihre Ozon-Vorlagen aus der Oppositionszeit jedenfalls nicht vergessen und ihre Unterstützung ist dem Umweltminister sicher. Schließlich arbeitet die Zeit mit jeder Minute, die zur nächsten Ozonwarnung verstreicht für ihn, wenn er der Müntefering-Schröder-Blockade bereits zum diesjährigen Sommerbeginn eine gute Vorlage vorsetzt. Er muß jetzt der Bevölkerung zeigen, was wir wollen und was Kanzler und Automobilminister bisher noch verhindern.

Und wer sagt denn, daß zur Abwechslung nicht auch die Gesundheitsministerin die Federführung übernehmen kann? Handelt es sich hierbei nicht um einen Akt aktiver Gesundheitsvorsorge?

Und ist es ein Zufall, daß einem just in dem Augenblick, wo scheinbar nichts mehr wietergeht, massive Unterstützung zu Hilfe kommt? Dem bisher eher lauen Agieren des ministeriellen Apparats (unter einer gleichwohl sehr engagierten Leitung) stößt nun neue politische Leidenschaft in Form des Umweltbundesamtes hinzu. Es traut sich in einer neuen Studie ohne Umschweife und politische Rücksichtnahmen auszusprechen, was Sache ist: Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 30 in der Stadt erhöht nicht nur ungemein die Verkehrssicherheit, sondern reduziert auch drastisch den Schadstoffgehalt der Luft.

In der Studie wird eine einfache Rechnung aufgemacht. Bei Tempo 100 würden auf den Autobahnen 34 Prozent weniger Stickoxide als Ozonvorläufer ausgestoßen. Auch die Kohlendioxidfrachten würden bei Tempo 100 um immerhin 6,3 Millionen Tonnen und damit um 19 Prozent jährlich sinken. Bezogen auf den Gesamtverkehr würden sich die Stickoxidemissionen um fünf Prozent und die der CO2-Emissionen um drei Prozent (mehr als durch die 1995 verschärften Wärmeschutzstandards im Hausbau) reduzieren

Und wem das nicht reicht, dem rechnet das Amt eine Verringerung der Verkehrstoten auf Autobahnen um 40 Prozent vor. Warum also nicht ein Tempolimit das ganze Jahr über? Auch Schröder hat das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung mit unterschrieben hat, d.h. den dauerhaften und vorsorgenden Schutz von Gesundheit und Umwelt.

Dipl.-Ing. H. Keßler,

MdB Winfried Hermann

BT-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen