Eine Liste mit verkehrspolitischem Sprengstoff

Autor: admin  |  Kategorie: Bahn, Stuttgart 21

Stuttgart 21 und Nürnberg-Erfurt blockieren Schienenausbau anderenorts

Winfried Hermann, grüner Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses, staunte nicht schlecht, als er einen Brief von Verkehrsminister Ramsauer öffnete. Inhalt: eine Liste der Schienenaus- und Neubauvorhaben bis 2020. Zwar wolle er den Ergebnissen der Bedarfsplanüberprüfung – also der Überprüfung des Vordringlichen Bedarfs der Schienenprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan – nicht vorgreifen, doch, so Ramsauer: „Ich kann Ihnen bereits jetzt versichern, dass die laufenden Vorhaben oberste Priorität besitzen und deshalb wie geplant fortgeführt werden. Eine Übersicht über die aktuell in Realisierung befindlichen Maßnahmen einschließlich ihrer finanziellen und zeitlichen Einordnung ist diesem Schreiben als Anlage beigefügt.“

Schienenneubaumittel auf zehn Jahre verplant

Die beigefügte Liste (siehe Download-Bereich) hat es in sich. Denn sie zeigt eines ganz klar: Das Geld, das in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich für Neu- und Ausbauinvestitionen zur Verfügung stehen wird, ist bereits heute weitgehend verplant. Denn im langfristigen Mittel stehen für den Neu- und Ausbau auf der Schiene pro Jahr etwa 1,1 Mrd. Euro zur Verfügung. Die Finanzplanung des Bundes bis 2014 zeigt, dass dieser Wert realistisch ist. Schuldenbremse im Grundgesetz und der Plan der Bundesregierung, die Lkw-Mautmittel nur noch für die Straße und nicht mehr auch für die Schiene/Binnenwasserstraße zur Verfügung zu stellen, lassen eher befürchten, dass dieser Wert in den nächsten Jahren unter eine Milliarde pro Jahr sinken wird.

Im Zeitraum 2010 bis 2020 stehen demnach rund 11 Mrd. Euro zur Verfügung. Ausweislich der Liste des Verkehrsministeriums sind davon rund 8 Mrd. Euro bereits festverplant. Nimmt man die bereits bekannt gewordene Baukostensteigerung für die Neubaustrecke Wendlingen – Ulm von 900 Mio. Euro dazu, sind es fast 9 Mrd. Euro. Da mindestens von einer Baukostensteigerung von 20 Prozent in diesem Zehn-Jahres-Zeitraum auszugehen ist und die Prognosezahlen teilweise von Anfang des letzten Jahrzehnts stammen, sind die 11 Mrd. Euro also verplant.

Viele vordringliche Projekte bis 2020 ohne Chance

Und nicht nur das. Selbst die Projekte dieser Liste sind bei weitem nicht durchfinanziert. So wird der viergleisige Ausbau der Rheinschiene zwischen Karlsruhe und Basel mindestens noch 4 Mrd. Euro kosten. Vorgesehen im Zeitraum der nächsten zehn Jahre sind aber gerade einmal 117 Mio. Euro! Für München – Mühldorf – Freilassing sind ganze 50 Mio. Euro eingeplant bei Gesamtkosten von 2,8 Mrd. Euro! Großprojekte wie die Neubaustrecke Frankfurt – Mannheim fehlen ganz oder sind wie im Fall der NBS/ABS Hamburg/Bremen – Hannover (Y-Trasse), der Hinterlandanbindung Fehmarn-Belt-Querung oder des Rhein-Ruhr-Express (RRX), die Anbindung des neuen Tiefseewasserhafens in Wilhelmshaven oder die Betuwe-Linie am Niederrhein nur mit Planungsmitteln oder kleinen Einzelmaßnahmen vorsehen sind. Zusammen kosten aber alleine diese Projekte weit mehr als 10 Mrd. Euro.

Nicht enhalten sind zudem die jüngst in einer Studie für das Umweltbundesamt vorgeschlagenen Maßnahmen, um die Kapazität des Schienengüterverkehrs bis 2025 zu verdoppeln. Die dort vorgeschlagenen häufig kleinteiligen, aber hoch effizienten Maßnahmen würden insgesamt 11 Milliarden Euro kosten. Im Vergleich zu den Bedarfsplanprojekten schaffen sie aber mit dem gleichen Geld bis zu 90 Mal mehr Trassenkapazität. Würde das Netz nach volkswirtschaftlichen Kriterien ausgebaut, müsste man diesen Maßnahmen, die im Übrigen auch viel schneller realisiert und damit verkehrswirksam wären, den Vorzug vor Großprojekten geben, die kaum Kapazitäten schaffen, dafür aber Milliarden Euro verschlingen.

Zwei Prestigeprojekte im Süden fressen 70 Prozent der Investitionsmittel

Die Liste weist Kosten für die Projekte bis 2020 in Höhe von 8 Mrd. Euro aus. 5 Mrd. – wenn man die bereits bestätigte Baukostensteigerung für Wendlingen Ulm einrechnet, sogar 6 Mrd. Euro – davon sind für Stuttgart 21 (Bundesanteil 563 Mio. Euro), Wendligen – Ulm (Bundesanteil 2 Mrd. Euro) und die ICE-Neubaustrecke/Ausbaustrecke Halle-/Leizig – Erfurt (VDE 8.2) und Erfurt – Nürnberg (VDE 8.1) fest verplant. Für VDE 8.1. und 8.2. ist das selbst nach offiziellen Planungen noch nicht einmal ausreichend, um das gesamte Projekt zu finanzieren, es fehlen noch mindestens 2,3 Mrd. Euro.

Pikant ist, dass die Liste für die Zeit 2016 – 2020 für VDE 8.1. und 8.2. noch Finanzierungsscheiben über zusammen mehr als 1,2 Mrd. Euro enthält. Dabei sollen die Projekte angeblich zum Fahrplanwechsel 2015 (VDE 8.2.) bzw. 2017 (VDE 8.1) in Betrieb gehen.

Und auch der Fertigstellungstermin für das kombinierte Projekt Stuttgart 21 und NBS Wendlingen – Ulm im Jahr 2019 ist ausweislich dieser Liste komplett unrealistisch. Denn allein, um die bereits bekannten 900 Mio. Euro Baukostensteigerung für Wendlingen – Ulm im Zeitraum 2016 – 2019 aufzubringen, müssten dann jährlich 500 Mio. Euro in diese einzige Projekt gesteckt werden – rund die Hälfte des für ganz Deutschland zur Verfügung stehenden Budgets.

Politische Konsequenzen

Die Liste zeigt ganz klar: Stuttgart 21 mit der Neubaustrecke und Halle/Leipzig – Erfurt -Nürnberg fressen fast die gesamten zur Verfügung stehenden Mittel der nächsten 10 Jahre auf. Und selbst dann werden sie noch nicht fertiggestellt sein, sondern über weitere Jahre hohe Summen verschlingen.

Gleichzeitig hat der Schienengüterverkehr den Einbruch des letzten Jahres durch die Finanz- und Wirtschaftskrise vermutlich schon 2011 überwunden und wird weiter steil wachsen – aber nur dann, wenn er auch die dafür notwendigen Trassen vorfindet.

Verkehrsminister Ramsauer ist daher aufgefordert mit der unseligen Tradition seiner Vorgänger zu brechen, immer allen alles zu versprechen, obwohl klar ist, dass das Geld hinten und vorne nicht reicht. Gefragt ist ein mutiges Abschneiden alter Zöpfe mit Projekten von Anfang der 1990er Jahre wie Stuttgart 21.

Wird das Geld weiterhin in verkehrspolitisch nachrangigen Prestigeprojekten versenkt und damit dem Ausbau des Güterverkehrs und anderer wichtiger Personenverkehrsstrecken entzogen, droht in 3 – 5 Jahren der Kollaps des Schienengüterverkehrs, besonders im Zu- und Ablauf auf die Häfen. Die Konsequenz wäre, dass noch mehr Lkw die Autobahnen verstopfen würden. Eine fatale Entwicklung für den Klimaschutz und für den Wirtschaftstandort Deutschland, die jetzt noch abgewendet werden kann. Die Blaupause für einen vernünftigen Ausbau ist mit der Studie von Michael Holzhey von der Berliner Beratungsgesellschaft kcw GmbH für das Umweltbundesamt bereits ausgearbeitet worden.

Tags: , ,