12.10.2007

Winfried Hermann, Hans Christian Ströbele u. a. Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen

Erklärung zur Abstimmung Top 27

Fortsetzung des ISAF- Einsatzes in Afghanistan

Nach fast sechs Jahren militärischen Kampfes und militärischer Präsenz in Afghanistan stellen wir fest: Die Sicherheitslage im Lande ist nach wie vor prekär. Und sie wird zunehmend schlechter. Vor allem im letzten Jahr ist die Zahl der Selbstmordanschläge dramatisch angestiegen und damit auch die Zahl der Opfer. Zugleich wurde der Kampf gegen bewaffnete Aufständische (Taliban u. a. Gruppen) verstärkt militärisch geführt. Insbesondere im Süden und Osten des Landes wird im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF), zunehmend auch unter dem Dach von ISAF mit Raketen und Bomben ein brutaler Anti-Terrorr-Krieg geführt, der immer mehr Zivilisten/innen das Leben kostet. Ortschaften, in denen Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer vermutet wurden, wurden zerstört. Hunderte von Frauen, Kindern und älteren Menschen verloren allein in diesem Jahr bei solchen Einsätzen ihr Leben. Jeder dieser Militärschläge mit zivilen Opfern schürt den Hass und fördert den Widerstand gegen die ausländischen Truppen. Das Ansehen der fremden Schutztruppen schwindet rapide. Die Beschützer werden zunehmend als Besatzer wahrgenommen, trotz vielfacher Wiederaufbauhilfe.

Wir sind überzeugt: Der Krieg gegen Terror ist militärisch nicht zu gewinnen. Der Erfolg von ISAF wird durch die militärische Gewaltspirale zunehmend unmöglich gemacht.

Der Einsatz von Tornados und die Einbindung in dieses ISAF-Mandat sind der falsche Weg. Sie tragen zur Eskalation der Konflikte bei. Die deutschen Aufklärungsflugzeuge entlasten britische Kampfflugzeuge, die sich jetzt ganz auf den Kampf aus der Luft konzentrieren können. Diese Arbeitsteilung wird so auch in der afghanischen Bevölkerung gesehen. Dass die deutschen Aufklärungsbilder nur zur Sicherung und zum Schutz und nicht für zielgenaue Angriffe gegen (vermeintliche) Aufständische oder Terroristen benutzt werden halten wir für naiv. Die Kommandostruktur der US-Streitkräfte von OEF und ISAF sind beispielsweise nicht getrennt, die Tornados werden als NATO-Flugzeuge von einer gemeinsamen Leitzentrale geführt und koordiniert, sie sind informationstechnisch in die NATO integriert.

Ein weiterer Einsatz von deutschen ISAF-Soldaten wäre nur dann verantwortbar, wenn er in Richtung polizeiähnlicher Sicherheitsmission entwickelt würde und wenn ein klar erkennbarer Kurs- und Strategiewechsel der Bundesregierung und der NATO eingeleitet würden. Hierzu gehören auch Friedensverhandlungen mit allen wichtigen Akteuren im Lande und ein Konzept zur Entwicklung von Sicherheit und Frieden durch die Menschen in Afghanistan selbst. Ein solcher grundlegender Strategiewechsel, weg von militärischer Eskalation, hin zur Deeskalation und zu verstärktem zivilen Aufbau ist leider nicht in Sicht. Die Ausgaben für Militär (rund 500 Mio. pro Jahr alleine von Deutschland) betragen nach wie vor ein Vielfaches dessen, was für zivilen Aufbau (rund 120 Mio.) ausgeben wird. Die Aufbauhilfe für Justiz und Polizei ist dagegen viel zu gering, ebenso die Förderung von Zivilgesellschaft. Wirtschaft und Infrastruktur sowie Alternativen zum Drogenanbau müssten systematisch aus- und aufgebaut, Korruption müsste verstärkt bekämpft werden, damit die Menschen erfahren, dass es für alle aufwärts geht. Die einfache Gleichung, nur wenn militärisch Sicherheit hergestellt ist, kann der zivile Aufbau gelingen, halten wir für falsch. Immer mehr NGOs und Entwicklungshelfer sagen, dass die derzeitige Form des „militärischen Schutzes“ ihre Projekte eher gefährdet.

Wenn wir dieses ISAF-Mandat ablehnen, so tun wir dies im Bewusstsein, dass ein „weiter so“ für viele Menschen in Afghanistan, aber auch für die deutschen Soldaten lebensgefährlich wäre. Mit der Ablehnung dieses Mandates lehnen wir nicht eine internationale Verantwortung für friedlichen Aufbau und Entwicklung in Afghanistan ab. Vielmehr ist unsere Absage an diesen militärischen Einsatz verbunden mit einen Bekenntnis zu einer zivilen Friedens- und Entwicklungsstrategie. Dafür wollen wir uns einsetzen.


Winfried Hermann
Hans-Christian Ströbele
Peter Hettlich
Sylvia Kotting-Uhl
Monika Lazar
Harald Terpe

 

 

 


 

 

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