Zustand
der Deutschen Bahn AG vor dem Börsengang
Meine Rede am 22. März 2007 im
Deutschen Bundestag
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
hat gestern gemeinsam, und zwar einstimmig, einen wichtigen
Beschluss gefasst: Wir richten einen Unterausschuss zum Zustand
des Netzes der Deutschen Bahn ein. Das ist wirklich wichtig
und gut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN - Uwe Beckmeyer (SPD): Sagen
Sie mal der Öffentlichkeit, wer das vorgeschlagen
hat!)
Dass wir uns kritisch mit diesem Netz befassen müssen,
ist inzwischen Konsens aller Expertinnen und Experten.
Es ist eigentlich ein Skandal, dass wir drei Jahre nach
einem Beschluss des Deutschen Bundestages immer noch keinen
aussagekräftigen Infrastruktur- bzw. Netzzustandsbericht
von der Deutschen Bahn vorgelegt bekommen haben. Dieser ist
höchst überfällig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Es ist nicht nur ein Skandal, sondern auch ein Ärgernis,
dass es das Verkehrsministerium in all diesen Jahren nicht
geschafft hat, so etwas gegenüber seinem großen
eigenen Betrieb durchzusetzen. Jetzt soll ein Text vorliegen,
mit dem selbst das Ministerium nicht zufrieden ist.
Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist viel über
den Zustand des Netzes geschrieben worden. Selbst wenn da
die eine oder andere Übertreibung dabei gewesen ist,
kommt man, wie ich glaube, nicht umhin, festzustellen, dass
der Zustand des Netzes beklagenswert ist. Es gibt viele,
zu viele Baustellen. Es ist offenkundig zu lange zu wenig
in die Pflege gesteckt, zu lange zu wenig in den Erhalt investiert
worden. Das muss dringend geändert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Man hat auch den Eindruck, dass sich die DB AG, um eine gute Bilanz für
den Börsengang hinzubekommen, die Mittel für die Pflege spart und
so lange die Strecken befährt, bis der Schienenkörper ersetzt werden
muss. Das heißt, es muss dann vom Bund bezahlt werden und nicht mehr
von der Bahn. Auch das ist ein Fehlanreiz, den wir festgestellt haben, der
dringend beseitigt werden muss.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
der Abg. Dorothée Menzner (DIE LINKE))
Meine Damen und Herren, all dies zeigt, dass es höchste
Zeit wird, dass wir als Eigentümer genauer auf unser
Eigentum achten und es ein Stück weit der DB AG entziehen.
Ich zitiere einmal:
Die Infrastrukturgesellschaften werden vor der Kapitalprivatisierung ins Eigentum
des Bundes überführt. Juristische Risiken für die eigentümerrechtliche
Position des Bundes müssen ausgeschlossen werden.
Das ist der Beschluss der Großen Koalition vom November
2006.
(Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Sie hätten
zustimmen sollen!)
Der Bundestag hat mehrheitlich zugestimmt. Ich kann nur
sagen: Lassen Sie uns das umsetzen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was geschieht aber? Inzwischen liegt ein Entwurf zur Privatisierung
der DB AG aus dem Hause Tiefensee vor. Er beinhaltet das
glatte Gegenteil von dem, was im Prinzip damals verabschiedet
wurde, das glatte Gegenteil von allen Bedenken, die von allen
Experten gegenüber den ersten Entwürfen vorgebracht
worden sind. Eigentlich wird versucht, das alte Tiefensee-Modell,
das sogenannte Eigentumssicherungsmodell wer immer das versteht
, wieder in Form eines neuen Gesetzentwurfes vorzulegen.
Ä rgerlich an der ganzen Geschichte ist, dass der Chef des Bahnkonzerns
den Entwurf kritisiert und dem Herrn Minister einen Brief geschrieben hat, den
sogenannten Bömbchenbrief. Der heißt so, weil Bömbchen am Rand
waren, mit denen auf das hingewiesen wurde, was aus DB Sicht problematisch ist
und geändert werden muss, weil es so nicht privatisierungsfähig ist.
Und was geschieht? Wenige Wochen später liefert der Minister einen entsprechenden
Entwurf alle Kritikpunkte beseitigt. Man fragt sich allen Ernstes: Ist das Ministerium
eigentlich eher der DB verantwortlich oder dem Deutschen Bundestag bzw. dem Grundgesetz?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei
der FDP sowie der Abg. Dorothée Menzner (DIE LINKE))
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich nicht wundern,
dass inzwischen in manchen Medien als Nachfolger von Mehdorn
Herr Tiefensee ausgerufen wird, nach dem Motto: Er bereitet
sich seinen späteren Platz schon vor. Jedenfalls kann
man sich dieses Eindrucks nicht erwehren, wenn man sieht,
wie willfährig das Ministerium alles tut, was die Bahn
sagt, und wie es die Eigenverantwortung der Politik nicht
wahrnimmt.
Wir haben gegenüber diesem Gesetzentwurf erhebliche
Bedenken. Diese sind, dass der Bund sein Eigentum nur formal
kurze Zeit hält, um es dann der DB zu übereignen,
dass sie dieses Eigentum 15 Jahre, vielleicht sogar 25 Jahre
haben soll, dass der Bund die Stimmrechte gleich an die DB
abgibt und zudem noch zusagt, 37 Milliarden Euro über
15 Jahre regelmäßig zu zahlen. Da kann ich nur
sagen, Genossinnen und Genossen: Über diese Zusage freuen
sich die Heuschrecken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In allen Fraktionen gibt es Abgeordnete, die darüber
nachdenken, wie wir mit dem Volksvermögen im Bereich
der Bahn, das in vielen Jahren angespart worden ist, verantwortungsbewusst
umgehen können. Dieses Gesetz ist jedenfalls in keinem
Punkt eine Antwort auf diese Frage. Im Gegenteil, es ist
ein billiger Ausverkauf, eine Schenkung. Das ganze Gesetz
ist extrem verquast und kompliziert. Die Politik ist weitgehend
außen vor. Wir werden zukünftig vor allen Dingen
einen Streit zwischen den Rechtsabteilungen des Ministeriums
und der DB haben. Ich kann Ihnen sagen, wie das ausgeht:
Mit Sicherheit geht es nicht gut für das Ministerium
aus. Denn das Ministerium ist schon heute nicht in der Lage,
einem solchen Konzern Paroli zu bieten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit!
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. Der Gesetzentwurf ist grundlegend falsch. Schmeißen
Sie ihn in den Papierkorb! Er kann auch nicht mehr verschlimmbessert werden.
Wir sollten uns im Unterausschuss erst einmal kritisch mit dem Netzzustand
befassen, dann überlegen, wie es weitergeht, in jedem Fall sicherstellen,
dass die Infrastruktur in öffentlicher Hand bleibt, und schließlich
in einer nächsten Periode den Börsengang mit klarem Kopf neu angehen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
des Abg. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP))
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