Umwelt und Gesundheit
Neue EU-Feinstaubpolitik: Anpassung der Werte ans
Nichtstun
EU ignoriert die Warnungen der WHO
Wenn Grenzwerte nicht eingehalten werden können,
müssen sie eben geschliffen werden. Dies ist die
simple wie falsche Konsequenz aus dem wenig erfolgreichen
Umgang vieler Länder mit dem Problem Feinstaub.
Dabei hatten Sie Jahre Zeit um sich auf die neuen Grenzwerte
einzustellen. Man hat wenig gegen den Feinstaub getan,
umso aktiver war man im Lobbying zur Senkung der Grenzwerte,
allen voran die Bundesländer Baden-Württemberg
und Berlin. Auch bei der effektiven Feinstaubbekämpfung
im Verkehr war man nicht faul, mit großem Elan
hat man in Bayern und Rheinland-Pfalz das vorgelegte
Fördergesetz für den Rußpartikelfilter
im Bundesrat aufgehalten und umgeschrieben. Noch immer
vergeblich wartet man auf die schon mehrfach angekündigte
Förderung für die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen.
Die Umweltministerin Frau Gönner aus Baden-Württemberg,
und auch die Umweltminister Herr Falthauser aus Rheinland-Pfalz,
Herr Schnappauff aus Bayern und ob seiner Untätigkeit
auch Herr Gabriel aus dem Bundesumweltministerium: Sie
alle gehören zu der rot-rot-gelb-schwarzen Allianz
des ökologischen Nichtstuns!
Feinstaubrichtlinie in Brüssel unter
Beschuss
In Brüssel haben neben Deutschland auch andere
Mitgliedstaaten die strengen Grenzwerte und damit die
Richtlinie torpediert. Mit dem Ziel zusätzliche
Grenzwerte für die PM 2,5 (ultrafeine und daher
lungengängige Partikel) einzubeziehen, wurde die
so genannte Feinstaubrichtlinie überarbeitet. Darüber
hinaus aber lockerte die EU Kommission in ihrem Vorschlag
aufgrund des wachsenden Drucks die Vorgaben: Kommunen
und Länder sollen künftig lange Übergangsfristen
(bis zu 6 Jahren) für die Umsetzung erhalten. Wenn
sie nachweisen, trotz umfänglicher Maßnahmen
keine entsprechende Reduktion erreichen zu können,
soll die Anzahl der höchstzulässigen Überschreitungen
im Jahr wird von 35 auf 55 Tage erhöht werden.
Die Mehrheit im Europäischen Parlament wollte
den Kommissionsvorschlag weiter zu Ungunsten von Gesundheitsschutz
und Luftqualität gelockert wissen. Dem EP-Vorschlag
zur Folge sollten die Verlängerung der Umsetzungsfristen
für Kommunen und Länder zur Regel gemacht
werden, die Kommission hatte dies noch als Ausnahme
vorgesehen. Einzig den Grenzwert für PM 2,5 wollte
das EP gegenüber dem Kommissionsvorschlag verschärft
wissen. Ein Fortschritt immerhin, doch der vorgeschlagene
Wert selbst ist noch zu hoch.
Weltgesundheitsorganisation kritisiert
die EU scharf
Das EP hat damit die deutlich vorgebrachten Warnungen
der WHO und zahlreicher Gesundheitsexperten in den Mitgliedstaaten
ignoriert. Selbst das EU-Programm Saubere Luft für
Europa (CAFE) veröffentlicht alarmierende Zahlen:
in der EU sterben ca. 290.000 Europäer vorzeitig
allein Infolge der Feinstaubbelastungen, in Deutschland
sind es 65.000 Menschen im Jahr. Dies sind keine Horrorzahlen
durchgeknallter Ökos, sondern offizielle Zahlen
der EU selbst.
Nicht nur die Ignoranz der Mehrheit der Europaparlamentarier
hat die WHO erneut auf den Plan gerufen: Sie hat die
EU dezidiert wegen zu hoher Grenzwerte für Feinstaub
kritisiert. Darüber hinaus jedoch hat die Weltgesundheitsbehörde
eigene weltweite Richtlinien für die Luftqualität
(Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid) vorgelegt. Die
Werte für Luftschadstoffe liegen weit unter den
derzeit in Europa geltenden Feinstaubwerten. Beim Feinstaub
hält die WHO den hierzulande geltenden Tagesmittelwert
von 50 Mikrogramm Feinstaub für vertretbar. Überschreitung
jedoch hält die WHO generell für inakzeptabel.
Davon bleibt das EP eher unbeeindruckt. Die für
die WHO unzumutbare Überschreitung der Werte soll
nun nicht nur an 35 sondern gleich an 55 Tagen im Jahr
möglich sein. Prof. Erich Wichmann, einer der führenden
Epidemiologe und Feinstaubexperte in Deutschland bemerkte
in einem FR-Interview vom 6.10.2006: "das Parlament
stellt sich gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft".
Ultrafeine Partikel noch gefährlicher
– Grenzwerte erst ab 2015
Die WHO hat Grenzwertvorschläge für die besonders
gesundheitsschädlichen, weil lungengängigen,
ultrafeinen Partikel (maximal 2,5 Mikrometer) unterbreitet.
Nach Erkenntnissen der WHO sind die PM 2,5 für
eine durchschnittliche Senkung der Lebenserwartung eines
Deutschen um 10,2 Monate verantwortlich. Doch das EP
will sich mit der Festlegung von verbindlichen Grenzwerten
für PM 2,5 noch bis 2015 Zeit lassen. Im ursprünglichen
Kommissionsentwurf war noch 2010 vorgesehen.
Der EU-Umweltministerrat hat auf seiner Tagung am 23.
Oktober zwar die meisten Änderungswünsche
resp. Verwässerung durch das EP nicht berücksichtigt.
Jedoch folgt er in einem wesentlichen Punkt dem EP:
PM 2,5 Werte wird es erst fünf Jahre später
als geplant, also 2015 geben. Spätestens im Jahr
2010 werden Epidemiologen und Gesundheitsexperten ausgerechnet
haben, wie viele Tote in Europa mehr uns diese 5 Jahre
Verzögerung gebracht haben.
Deutschlands Ökoinitiative ist gefragt
Für die abschließende Lesung droht nun ein
Konflikt zwischen EP und Ministerrat. In der ersten
Jahreshälfte 2007 muss eine Einigung erzielt werden.
Unter deutscher Präsidentschaft also: eine gute
Gelegenheit für Umweltminister Gabriel mehr als
verbale Emissionen über die Notwendigkeit der Luftreinhaltung
zu verbreiten und seinen Einsatz für den Schutz
der Gesundheit und Umwelt unter Beweis zu stellen!
Das Fazit der neuen EU-Luftreinhaltepolitik: Grenzwerte
werden zu bloßen Zielwerten degradiert, lange
Übergangsfristen zur Umsetzung gewährt, die
Anzahl der Überschreitungstage wird gestreckt und
die so dringend notwendigen Grenzwerte für PM 2,5
kommen 2015. Nach einer Übergangsfrist von bestimmt
5 Jahren werden dann Maßnahmen zur Reduktion der
ultrafeinen Partikel wahrscheinlich erst 2020 greifen.
Keine guten Aussichten für die Luft und die Lungen
in Europa.
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