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Tagesschau - Interview am 02.12.2006
am Rande der Bundesdelegiertenkonferenz in Köln

"Was wir vorhaben ist extrem schwierig"

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Herrmann, erteilt den radikalen Klimaschützern in der eigenen Partei eine Abfuhr. Im Interview mit tagesschau.de plädierte er zwar für "radikale Ziele", aber für einen pragmatischen Weg dorthin.
tagesschau.de: Herr Herrmann, die Grünen wollten das Thema Umwelt mit neuem Schwung versehen. Abseits der sehr spezifischen Debatten dieses Parteitages: Wie wollen sie dem Wähler erklären, was an dem Thema so neu ist?

Winfried Herrmann: Neu sind auf jeden Fall die dramatischen Daten zur Entwicklung des Klimas. Es ist auch für viele Grüne überraschend, was da im letzten halben Jahr an die Öffentlichkeit gekommen ist: Mit welcher Geschwindigkeit Gletscher abschmelzen und die Eisberge zerbrechen. In Deutschland beträgt der durchschnittliche Temperaturanstieg schon ein Grad. Alle, die nicht die Augen und Ohren zumachen, finden das beunruhigend. Die Grünen werden auf diesem Parteitag einen präzisen, strategischen Vorschlag machen, mit welchen Schritten man bis zu welchem Zeitraum wohin kommen will beim Klimaschutz.

" Null-Emission bis zum Ende des Jahrhunderts"

tagesschau.de: Die Debatte hat gezeigt, dass es manchen in der Partei noch nicht radikal genug voran geht, mit der neuen Umwelt-Radikalität der Grünen.
Herrmann: Es bleibt ein Rest von Kontroverse. Der besteht in der Frage: Was bedeutet die Null-Emissionsstrategie? Bedeutet das, dass wir schon morgen das Ziel erreicht haben müssen und deshalb kein einziges Kohlekraftwerk mehr in Betrieb genommen werden kann? Meine Position ist: Ja, das Ziel muss sein, die Null-Emission bis zum Ende des Jahrhundert zu erreichen, aber: Die nächsten 40, 50 Jahre werden wir zwingend auf Erdgas und Kohle angewiesen sein. Ich halte nichts von einem Radikalismus, der nicht weiß, wie er sein Ziel erreichen soll. Damit arbeitet man der Atomkraftlobby in die Hände.

tagesschau.de: Zeigt sich hier, dass sich Realität und Radikalität doch nicht so ohne weiteres vereinbaren lassen - auch wenn etwa Renate Künast dies behauptet?
Herrmann: Doch. Die Analyse muss radikal-realistisch sein, die Zielvorstellung muss sehr radikal sein und der Herausforderung entsprechen. Der Weg dorthin muss ein ganz pragmatischer sein. Jene, die das bestreiten, ignorieren die zahllosen Hindernisse und Schwierigkeiten auf dem Weg dahin.

" Die SPD hat uns extrem blockiert"

tagesschau.de: Wie entgehen sie der Gefahr, sich in der Opposition radikal zu gebärden, um dann in einer Koalition wieder ganz handzahm zu werden?
Herrmann: Wir haben in der Koalition mit der SPD vieles nicht durchgesetzt, weil die SPD extrem blockiert hat. Die SPD macht heute mit der Union Dinge, die sie mit uns verhindert hat. Etwa das Altbausanierungsprogramm, das wir immer gefordert haben. Man muss sich aber nichts vormachen: Was wir uns hier ausdenken, ist extrem schwierig und langwierig umzusetzen.

tagesschau.de: Deshalb noch mal die Frage: Wie verkaufen sie es dem Wähler? Sie haben in ihrer Rede für mehr Radfahren und zu Fuß gehen geworben. Kann man mit solchen Konzepten Wähler gewinnen?
Herrmann: Ich gehe davon aus. Wir haben in Tübingen bewiesen, dass wir mit solchen Konzepten sogar die Oberbürgermeisterwahl gewinnen können…

tagesschau.de: …die Universitätsstadt Tübingen dürfte in dieser Hinsicht aber auch eine Ausnahme darstellen.
Herrmann: Das sagen jetzt alle, aber dass unser Kandidat in Tübingen gewählt wurde, lag daran, dass es beispielsweise bislang kein Konzept für die Radfahrer und Fußgänger in der Stadt gab. Die Leute merken schon auch, dass man selbst was tun muss. Ich erinnere mich auch an den täglichen Kampf: Nimmst du das Auto oder das Rad. Das ist ja auch nicht so gemütlich im Winter.

Schwarz-Grün endgültig vom Tisch?

tagesschau.de: Im Vorfeld dieses Parteitages war viel über Schwarz-Grün spekuliert worden. Ist der Eindruck richtig, dass dieses Thema vorerst vom Tisch ist?
Herrmann: Ich bin sehr froh, dass auf diesem Parteitag die Koalitionsdebatte beendet wurde. Wir müssen Partner in der Gesellschaft finden und mit denen unsere Konzepte umsetzen. Wir sind jetzt in der Opposition und müssen Oppositionsarbeit leisten.

Das Interview führte Frank Thadeusz, tagesschau.de