Sportpolitik
15.02.2006
Auch beim Erinnern ist Höchstleistung
gefordert
Winfried Hermann findet, dass die Sportverbände
zu wenig für die
Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit tun - trotz des
Ausschlusses von
Funktionären aus dem Olympia-Team.
Auch wenn immer öfter gesagt wird, es sei Zeit,
einen Schlussstrich
unter die Stasi-Vergangenheit im Sport zu ziehen, zeigen
die aktuellen
Fälle: Geschichte arbeitet sich nicht von selbst
auf und erledigt sich
auch nicht aus Altersgründen. Das Nationale Olympische
Komitee für
Deutschland (NOK) hat daher richtig gehandelt, als es
darauf bestand,
alle Mannschaftsmitglieder auf eine frühere Stasi-Tätigkeit
zu
überprüfen. Folgerichtig war es, bei entsprechenden
Erkenntnissen auf
eine Aufnahme in die deutsche Delegation bei den Winterspielen
in
Turin zu verzichten. Konsequent wäre es gewesen,
alle belasteten
Personen nicht ins Olympia-Team zu nehmen.
Diese aktuelle Debatte muß endlich als notwendiger
Bestandteil der
gesamtdeutschen Geschichte des Sports verstanden werden.
Denn über die
Beziehungen von Stasi und Sport ist bisher noch zu wenig
bekannt. Die
als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi enttarnten
Sportfunktionäre oder Sportler haben sich überwiegend
als Mitläufer
verstanden oder sich sogar als Opfer des DDR-Systems
dargestellt.
Diese beschönigende Darstellung findet leider noch
immer ihre
Abnehmer. Denn der Spitzensport in der DDR vermittelte
für viele den
Eindruck einer vorzeigenswerten Insel. Mit wenig
politisch-ideologischer Steuerung schien dort alles
nach den eigenen
Regeln des Sports zu funktionieren. Man glaubte, leistungsstarke
Sportlerinnen und Sportler zu sehen, die mit besten
trainingswissenschaftlichen Methoden zu internationalen
Erfolgen
geführt wurden.
Die Betrachtung ist heute genauer geworden. Die DDR
finanzierte dieses
Leistungssportsystem mit einem unverhältnismäßig
hohen Mitteleinsatz
und pervertierte es mit flächendeckender und strafbarer
Verabreichung
von Dopingmitteln. Sport wurde politisch von außen
mitgesteuert; die
Stasi hatte dabei eine zentrale Überwachungsfunktion
eingenommen. Die
Berichte der IM über andere Personen waren entscheidender
Gradmesser
über Fortkommen und Fallenlassen, über Karriere
oder die
Ausdelegierung aus dem Spitzensport. Das System hat
neben der
Produktion von sportlichen Erfolgen auch zahlreiche
Opfer
zurückgelassen.
Es gibt daher viele Gründe, auch mehr als 15
Jahre nach der
Vereinigung des deutsch-deutschen Sports die Aufarbeitung
der
Sportgeschichte voranzubringen. Das NOK muss in seinen
Anstrengungen
unterstützt werden, mehr Licht in die Stasi-Verstrickungen
einzelner
Olympiateilnehmer zu bringen.
Andere Sportorganisationen, vor allem die Fachverbände,
müssen
nachziehen und sich ihrer Verbandsgeschichte stellen.
Die
wissenschaftliche Aufarbeitung ist lückenhaft und
hat sich bisher viel
zuwenig der Opferperspektive zugewandt. Es geht um weiteren
Zugang zu
den Stasi-Akten und Fortführung der Aktenrekonstruktion.
Denn für
viele gesundheitlich Geschädigte sind heute die
Stasi-Akten die
einzige Quelle, um festzustellen, in welchem Umfang
ihnen Dopingmittel
verabreicht wurden. Die jetzige Bundesregierung sollte
endlich ihr
Interesse an diesem Teil der Sportgeschichte entdecken
und prüfen,
warum die Entsendung von belasteten Sportfunktionären
nach Turin auch
noch mit Steuergeldern finanziert wird. Klüger
wäre es,
wissenschaftliche Aufarbeitung zu fördern. Der
Autor ist Abgeordneter
und sportpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag
Artikel erschienen am 5. Februar 2006
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