Krieg – Winfried Hermann https://www.winnehermann.de/2010 Mitglied des Deutschen Bundestages Fri, 28 Jan 2011 14:16:11 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.2.3 Persönliche Erklärung zur Abstimmung über das Afghanistan-Mandat https://www.winnehermann.de/2010/personliche-erklarung-zur-abstimmung-uber-das-afghanistan-mandat/ Fri, 28 Jan 2011 11:15:40 +0000 http://www.winnehermann.de/2010/?p=2837 [See image gallery at www.winnehermann.de] Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1943 (2010) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (BT-DRS: 17/4402)

Persönliche Erklärung

Abgeordneter Hans-Christian Ströbele

Abgeordneter Winfried Hermann

Abgeordnete Monika Lazar

Wir lehnen eine erneute Verlängerung des ISAF-Mandats der Bundeswehr ab. Vor einem Jahr weigerte sich die Bundesregierung, in Afghanistan von „Kriegseinsätzen“ der Bundeswehr zu sprechen. Inzwischen reden alle von „Krieg“, sogar die Kanzlerin. Das ehemals defensive ISAF-Mandat  für den Schutz der  Regierung und Verwaltung in Kabul und mit dem Auftrag, Waffen nur einzusetzen zum Schutz der Bevölkerung oder zum Eigenschutz in der konkreten Situation, ist von NATO und Bundesregierung  pervertiert worden in ein Mandat zum Krieg. Ein Krieg mit immer mehr Soldaten und mit immer mehr Opfern. Unter diesem Mandat wurden im letzten Jahr mehr Menschen getötet und verletzt als jemals zuvor unter dem Kampfmandat enduring freedom. Über 10.000 Zivilisten, Polizisten, Staatsangestellte, Soldaten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen haben ihr Leben verloren.

Die Zahl der NATO-Soldaten wurde um mehr als 30 Prozent auf ca. 140.000 erhöht, die der deutschen auf 5.350 aufgestockt. Die neue Strategie heißt „partnering“: Unter dieser Tarnbezeichnung zieht die NATO Seit an Seit mit Afghanen in Kampfeinsätze, zuweilen auch ohne diese. Großoffensiven in Helmand sowie im Norden, wo die Bundeswehr die Verantwortung trägt, dauern an und sind für Kandahar weiter geplant. Die US-Streitkräfte verstärken den Offensivkrieg im Rahmen der „Counter Insurgency“ durch extralegale Hinrichtungen in nie gekanntem Ausmaß. Hunderte von Zielpersonen werden Opfer von Kommandooperationen. Immer mehr unbemannte Drohnen werden in Afghanistan und im angrenzenden Pakistan eingesetzt. Die USA verweigern jede nähere Auskunft zu diesen Operationen. Aber nach Medienberichten soll nur etwa ein Drittel der Getöteten zu den Aufständischen gehört haben. Laut der New York Times gab es 2010 sechsmal mehr solcher Kommando-Operationen. Auch die Bundeswehr unterstützt dies, indem sie Zielpersonen für die Targeting-Listen von ISAF bzw. NATO benennt und nimmt so billigend in Kauf, dass die Gelisteten Opfer von extralegalen Tötungen werden.

Diese Geheimoperationen schüren zusätzlich Hass und Rachegefühle unter der afghanischen Bevölkerung. Sie treiben den Aufständischen immer mehr Kämpfer zu. Sie verhindern Verhandlungslösungen, denn wie soll mit denen verhandelt werden, die  von Drohnen gejagt und getötet werden?

Die Bundesregierung stellt zwar eine Verbesserung der Sicherheitslage fest und gibt sich zuversichtlich. Stattdessen wird die militärische Lage jedes Jahr dramatisch schlechter. So werden trotz Großoffensiven aus der Provinz Helmand ein Jahr später schwerste Verluste der NATO gemeldet. Im letzten Monat starben 25 alliierte Soldaten, meist aus den USA. Der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan von 2008 bis 2010, Kai Eide, stellte fest, dass  aus der „clear – hold –build“-Strategie eine „clear and again clear“-Übung geworden ist. Das heißt: Die Regionen werden nicht gehalten oder gar aufbaut, sondern immer wieder gesäubert. In Marja wurde im Februar 2010 eine NATO-Offensive gestartet, die in drei Monaten erfolgreich beendet werden sollte. Heute steht fest, sie ist gescheitert.

Die deutschen Soldaten können die befestigten Militärlager nur in gepanzerten Wagen und in Konvois für Kampfeinsätze oder Patrouillenfahrten verlassen. Das Ansehen der Deutschen in Afghanistan sinkt rapide, und auch die Bundeswehr wird immer mehr als Besatzer wahrgenommen. Deutsche Hilfsorganisationen meiden deshalb die Nähe zum Militär. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen die sicheren Orte möglichst nur noch in besonders gesicherten Fahrzeugen.

Weiter werden 90 Prozent des Opiums in Afghanistan angebaut, ein immer größerer Teil davon schon im Land zu Heroin „veredelt“ und exportiert. Afghanistan ist auch zum größten Exporteur von Cannabis geworden. So sichern sich Warlords und ehemalige Kriegsfürsten ihre Macht und tragen zur weiteren Destabilisierung des Landes bei.

Die Fortsetzung des Krieges ein, vier oder mehr Jahre ist unverantwortlich. Es spricht nichts für die Zuversicht der Bundesregierung, dass die Sicherheitslage nächstes Jahr besser und in vier Jahren gut ist. Es spricht vieles dagegen, vor allem die Erfahrung der Verschlechterung der letzten Jahre.  Jedes weitere Jahr Krieg kann weiteren zehntausend Mensch das Leben kosten.  Und was ist, wenn auch in vier Jahren die Sicherheitslage den Abzug nicht zulässt? Dann sind aber Zehntausende zusätzlich getötet und verletzt worden.

Wir fordern von der Bundesregierung einen wirklichen Strategiewechsel. Dazu muss die Bundeswehr unverzüglich alle militärischen Offensivoperationen und die Beteiligung an Kommandounternehmen stoppen. Sie muss sich auf Notwehr und Nothilfe beschränken. Die Bundesregierung muss zunächst die afghanische Regierung zu Waffenstillstandsvereinbarungen mit allen Aufständischen bewegen, die dazu bereit sind. Solche gab es immer wieder örtlich und regional. Auch die nationale Friedens-Jirga hatte sich bereits im Jahr 2009 bereit erklärt, die Gespräche mit Kommandeuren der Aufständischen in der Provinz Kunduz jederzeit wieder aufzunehmen. Die Verhandlungen zwischen der Regionalverwaltung und den Aufständischen muss unter Beteiligung von VertreterInnen der Zivilgesellschaft über die Zukunft dieser Region und des gesamten Landes geführt werden. Ziel sind Vereinbarungen zur Einhaltung der Menschenrechte und der afghanischen Verfassung, zu verstärkten Aufbauhilfen sowie zum raschen Abzug der Bundeswehr. Alle Finanzmittel, die durch die Einstellung der militärischen Operationen und Reduzierung des Militärs frei werden, werden der Bevölkerung bzw. dort aktiven Nichtregierungsorganisationen (NRO) unter internationaler Aufsicht für den Aufbau zur Verfügung gestellt.

Gleichzeitig muss sich die Bundesregierung bei den NATO-Partnern und in der UNO dafür einsetzen, dass alle militärischen Offensivoperationen, insbesondere die Drohnenangriffe, in Afghanistan sofort eingestellt und Waffenstillstandsvereinbarungen überall regional, in Provinzen und möglichst landesweit mit den Aufständischen und unter Beteiligung der Bevölkerung sowie der Nachbarstaaten für einen raschen Abzug des Militärs getroffen werden. Der von uns geforderte wirkliche Strategiewechsel sowie Bemühungen um ein Ende der Gewalteskalation sind nicht erkennbar. Immer weiter Krieg zu führen macht keinen Sinn. Deutschland und die NATO müssen wenigstens versuchen, neue Wege zu gehen, da die bisherigen in die Irre geführt haben.

Die Bundeswehr darf keine Unterstützung für gezielte Tötungen und offensive Aufstandsbekämpfung leisten. Das gilt für Afghanistan genauso wie für Pakistan. Die Bundesregierung muss sich für Deeskalation und Waffenstillstände einsetzen, um den Krieg unverzüglich zu beenden.


Die namentliche Abstimmung… hier

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Persönliche Erklärung zur namentlichen ISAF-Abstimmung (Afghanistan) https://www.winnehermann.de/2010/personliche-erklarung-zur-namentlichen-isaf-abstimmung/ Fri, 26 Feb 2010 11:19:38 +0000 http://www.winnehermann.de/2010/?p=667 Persönliche Erklärung zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (BT-DRS: 17/654)

Persönliche Erklärung der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Lisa Paus, Memet Kilic, Dr. Harald Terpe, Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Winne Hermann, Monika Lazar

Das neue Mandat für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist trotz gegenteiliger Ankündigung der Bundesregierung weitgehend das alte, das wir im Dezember 2009 abgelehnt haben, allerdings mit einer Truppenaufstockung von fast 20 Prozent.

Seit mehr als acht Jahren sind die deutschen Soldaten mit diesem Mandat in Afghanistan.

Aber trotz der ständigen Erhöhung der Truppenstärke ist die Sicherheitslage in den letzten Jahren nicht besser, sondern dramatisch schlechter geworden. Die Zahl der deutschen Soldaten mit ISAF-Mandat wurde inzwischen fast verzehnfacht. Trotzdem können die Soldaten etwa das Feldlager Kunduz nicht oder nur in Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen verlassen. Ein normaler Kontakt zur Bevölkerung ist kaum möglich.

In keinem Jahr zuvor wurden so viele Menschen in diesem Krieg getötet oder verletzt wie 2009, vor allem immer mehr Zivilisten.

Die Antwort von NATO und Bundesregierung auf die desolate Sicherheitslage ist: mehr Soldaten, mehr Offensiveinsätze, mehr Krieg. Wie nie zuvor seit Kriegsbeginn wird die Gesamtzahl der Soldaten um fast 40 000, und die der deutschen um 850 erhöht. Gleichzeitig beginnt die größte Militäroffensive seit 2001 im Süden des Landes. Der militärische Konflikt wird verschärft, nicht beendet, die Offensivstrategie erweitert, nicht gestoppt und die Anzahl der getöteten Menschen droht weiter anzusteigen. In diesem Jahr wurden schon wieder mehr als 600 Zivilpersonen durch Bombardierungen der NATO getötet.

Ursprünglich sollte das deutsche ISAF-Mandat, anders als das für OEF, auf Eigensicherung und Schutz der Bevölkerung beschränkt sein. Spätestens seit der Bombardierung der Tanklastwagen und Menschenmenge auf deutschen Befehl am 4. 9. 2009 nahe Kunduz wissen wir, dass die Bundeswehr an Offensiveinsätzen und der tödlichen Jagd auf Aufständische beteiligt ist. Sehenden Auges wurden über einhundert Menschen getötet, darunter viele Zivilpersonen und Kinder. Das defensive Mandat gibt es faktisch nicht mehr.

OEF- und ISAF-Mandat sind in der Praxis nicht zu unterscheiden. Derselbe General ist der Kommandeur für beide. Ohne Rücksicht auf das jeweilige Mandat werden die Soldaten eingesetzt, auch die der Bundeswehr. Aber die gezielte Vernichtung von Menschen, selbst dann wenn sie für Aufständische gehalten werden, sieht das ISAF-Mandat nicht vor. Es berechtigt zum Einsatz von militärischer Gewalt nur in Notsituationen zur Nothilfe oder Notwehr.

Die Bundesregierung weigert sich aber bis heute, verbindlich zu erklären, dass sie die Bombardierung vom 4.9. 2009 und überhaupt Einsätze mit dem Ziel der Vernichtung von Menschen ohne Notsituation vom ISAF-Mandat als nicht gedeckt ansieht. Sie stellt gegenüber der Truppe nichts klar. Weitere solche Einsätze will die Bundesregierung also offensichtlich nicht ausschließen.

In der Begründung des Antrages verspricht die Bundesregierung, das zivile Engagement nahezu zu verdoppeln. Sie schließt sich den Plänen der US-Regierung ohne eigenes Friedens- und Ausstiegskonzept an, eine Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung ab 2011 einzuleiten.

Pläne einer Abzugsstrategie sowie Bekenntnisse zu Versöhnung, Ausstiegsprogrammen und Verhandlungen mit den Aufständischen sind richtig aber unglaubwürdig, weil gleichzeitig die verhängnisvolle Offensivstrategie mit viel mehr Soldaten unversöhnlich fortgesetzt und intensiviert wird. Wie will man die, die man jagt, um sie auszuschalten, davon überzeugen, an den Verhandlungstisch zu kommen. Das passt nicht zusammen. Der Krieg wird verschärft, anstatt ihn zu beenden oder zumindest für einige Zeit auszusetzen, um den Verhandlungen eine Chance zu geben.

Jedes weitere Jahr werden tausende Menschen in diesem Krieg getötet und verletzt. Nach UN-Angaben wurden 2009 über 600 Zivilisten Opfer von NATO-Luftschlägen und mindestens 1.600 wurden durch Aufständische getötet. Das angeblich oberste Ziel der Vermeidung von zivilen Opfern wird immer wieder verfehlt. Seit Beginn der „Operation Mushtarak“ steigt deren Zahl wieder rapide. Neuer Hass wird geschürt und die Gewaltspirale dreht sich weiter.

Gerade auch im Norden, also im Verantwortungsbereich der Bundeswehr, werden US-Kampftruppen in einer Stärke eingesetzt, die erheblich größer ist als die der Bundeswehrsoldaten (ca. 5.000). Mit den zusätzlichen US-Soldaten wird die US-Einsatzstrategie des „Counter Insurgency“ einschließlich gezielter Tötungen in allen Provinzen die militärischen Operationen dominieren. Damit würde auch eine andere „deutsche Strategie“ konterkariert.

Der zivile Aufbau wurde jahrelang vernachlässigt. Trotzdem gibt es Erfolge bei der Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung, beim Straßenbau, bei der Errichtung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Es bleibt aber viel zu tun. Die Zivilgesellschaft muss mehr einbezogen werden, damit die internationale Hilfsgelder bei der Bevölkerung ankommen und Korruption zurückgedrängt wird. Der Aufbau einer zivilen Polizei für Friedenszeiten ist unzureichend. Es fehlt an Ausbildern aus Europa und Deutschland und an einem geeigneten Konzept. Angesichts der Zahl von 70 Prozent Analphabeten bei den Polizeibewerbern reichen acht Wochen Ausbildungszeit nicht aus.

Eine verantwortbare „Exit“-Strategie heißt nicht, Afghanistan im Stich zu lassen. Sicherheit für die Bevölkerung und ziviler Aufbau kann aber nachhaltig nicht erreicht werden mit mehr NATO-Soldaten und einer Strategie zur Vernichtung des Feindes. Bemühungen um ernsthafte Verhandlungen mit Allen unter Einbeziehung sämtlicher Nachbarstaaten sowie um Versöhnung sind der richtige Weg. Die Tür dafür scheint einen Spalt offen. Dieser Weg einer politischen Lösung muss gegangen werden. Alles, was dem im Weg steht und diese Bemühungen konterkariert, muss unterbleiben.

Daher fordern wir den Stopp der offensiven Kampfhandlungen und Bombenangriffe. Das Mandat, das mit mehr Soldaten die Eskalation des Krieges fördert, Verhandlungen erschwert und einer Abzugsperspektive entgegensteht, lehnen wir ab.

Hans-Christian Ströbele

Lisa Paus

Memet Kilic

Dr. Harald Terpe

Dorothea Steiner

Winfried Hermann

Sylvia Kotting-Uhl

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