Winfried Hermann
Besser und preiswerter als Stuttgart 21
Die Gegner von Stuttgart 21 haben eine bezahlbare Alternative
entwickelt: Kopfbahnhof 21
Der Ausbau des Bahnkotens Stuttgart, samt Flughafenanschluss
und Anbindung an die Neubaustrecke (NBS) Stuttgart - Ulm
ist mit Kopfbahnhof möglich, sogar besser und preiswerter.
Es gibt eine von Umweltverbänden und Verkehrsexperten über
Jahre entwickelte umfassende Alternativplanung zu Stuttgart
21. Ihr Name: Kopfbahnhof 21. Der Kopfbahnhof 21 könnte
je nach Finanzlage auch in Stufen realisiert werden und kostet
in der maximalen Ausbauvariante rund 1,5 Milliarden, also
nur etwa die Hälfte von Stuttgart 21, vor allem weil
statt 33 km Tunnel nur knapp 10 km gebaut werden müssen.
Notwendig zur Leistungssteigerung ist eine umfassende Sanierung
des Gleisvorfeldes am Hauptbahnhof, der Bau zweier zusätzlicher
Gleise zwischen Cannstatt und Hbf im Tunnel, der Neubau eines
elektronischen Stellwerks sowie die Renovierung und Modernisierung
des Bahnhofgebäudes und der Bahnsteige. Dies würde
Anschlüsse verbessern und den integralen Taktfahrplan
optimieren.
Durch eine neue S-Bahnverbindung zwischen Neckartal und
Flughafen entstünde ein für die Region nützlicher S-Bahn-Ring.
Der Fernverkehr würde auf zwei neuen Gleisen über
Cannstatt – Obertürkheim – Wendlingen, dann
im Tunnel hinauf zum Flughafen geführt und mit der NBS
verbunden. Aus allen Richtungen wären Flughafen und
Messe besser und schneller erreichbar, über einen, statt
zwei auseinander liegender Flughafen-Bahnhöfe. Die Fahrzeit
nach Ulm wäre mit 30 Minuten nur 2 Minuten länger,
gleichwohl kompatibel zum Ulmer Taktfahrplan. Leider wurde
diese preiswerte und verkehrlich günstigere Alternative
von den Stuttgart 21-Betreibern vorschnell, ohne ernsthafte
Prüfung verworfen.
Illusionäres Projekt aus vergangener
Zeit. Stuttgart
21 wurde in der wachstumsgläubigen Zeit, der ganz großen
Projekte der Deutschen Einheit anfangs der 1990er Jahre entwickelt,
als die Kosten der Einheit und die der Projekte scheinbar überschaubare
Summen auf dem Papier waren. Gleich mehrere große Kopfbahnhöfe
wie z.B. München, Frankfurt und Stuttgart sollten durch
unterirdische Durchgangsbahnhöfe ersetzt und wesentlich
durch den Verkauf von freiwerdenden Bahnimmobilien finanziert
werden.
In Frankfurt und München wurde das Vorhaben nach nüchterner
Kalkulation rasch verworfen. Stattdessen wurde der Kopfbahnhof
benutzerfreundlich und preiswert saniert. In Stuttgart verkämpft
sich die politische Führung von Stadt und Land seit
15 Jahren mit unglaublichem Aufwand, als hinge die Zukunft
des ganzen Landes von Stuttgart 21 ab. Dabei sind die Wachstumsblüten
des vergangenen Jahrhunderts („Eine zweite City wird
entstehen“) auch im stagnierenden Stuttgart verblüht.
Das freiwerdende Gleisfeld auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände
kann nur mühsam mit öffentlichen Bankenbauten gefüllt
werden.
Wider alle ökonomische Vernunft. Stuttgart 21 und die
Neubaustrecke Stuttgart-Ulm wurden von den Befürwortern
von Anfang an zusammen gebunden und in ihrer Bedeutung unglaublich überhöht.
Vermutlich weil beides so „unterirdisch“, so
riskant und so teuer ist. Inzwischen wurden 300 Millionen
Euro für Planungen und Bohrungen verbraucht. Dafür
wurden anderswo Bahnhöfe modernisiert.
Die Realisierungschancen
für Stuttgart 21 wurden nicht
besser. Im Gegenteil! Bund und DB haben nicht annähernd
die Mittel, die sie zum Nötigsten brauchten. Angesichts
der Finanzierungsprobleme der DB AG und der Öffentlichen
Hand, angesichts des maroden Netzzustandes insgesamt, angesichts
der Finanzierungsengpässe bei den hochprioritären
Neu- und Ausbaustrecken im Rheintal und beim Anschluss der
Seehäfen, wäre ein Umdenken dringend geboten. Doch
das Land drängt mit immer neuen Millionenbeträgen
zu Realisierung.
Unterirdischer Engpass. Während die NBS für den
Ausbau des Schienenverkehrs Sinn macht, ist gar nicht einsichtig,
warum unter Stuttgart mit Milliardenaufwand ein unterirdischer
Bahnengpass gebaut werden soll. Die Leistungsfähigkeit
und Störanfälligkeit ist vergleichbar mit dem heutigen
Durchgangsbahnhof Köln, der auch nicht erweitert werden
kann und der ständig für Verspätungen im Netz
der Bahn sorgt. D.h. würde Stuttgart 21 gebaut, wäre
Stuttgart ein zukünftig kaum mehr erweiterbarer, doppelter
Flaschenhals: mit 8 statt 16 Gleisen im Bahnhof und halb
so vielen Zufahrtstunneln. Die Züge dürfen im Bahnhof
nur zweieinhalb Minuten verweilen, wenn das geplante Betriebskonzept
ohne Stau funktionieren soll. Dabei weiß jeder Bahnnutzer,
dass volle ICEs mindestens vier Minuten Umsteigzeit brauchen.
Die auf dem Papier errechneten Kapazitäten rund um die
Uhr taugen praktisch nichts, weil es auch im Zugverkehr Hauptverkehrszeiten
gibt und nachts kaum gefahren wird.
Verlust des Integralen Taktfahrplans. Bei
der Knappheit der Stehgleise ist ein Warten auf verspätete
Anschlusszüge
nicht möglich. Der Integrierte Taktfahrplan, eine kundenfreundliche
Abstimmung der Zugabfahrten im Takt, die zu einer deutlichen
Verbesserung der Reisezeiten führt, ist deshalb nicht
mehr möglich. Man würde also zukünftig zwar
schneller nach Stuttgart ein- und durchfahren, aber beim
Umsteigen meist länger auf den nächsten Zug warten.
Die beeindruckenden Fahrzeitgewinne sind nur rein rechnerische
Vorteile. 90 Prozent der Fahrgäste in Stuttgart sind
Aus- und Umsteiger, vor allem aus der Region.
Es ist absurd,
dass mit viel Geld ein U-Bahnhof geschaffen werden soll,
der vor allem Vorteile für die 10 % Durchfahrenden
bringt. Das Argument des Fahrzeitgewinns gilt für die
Masse der Benutzer praktisch nicht. Neue umsteigefreie Durchfahrtsverbindungen,
wie z.B. von Heilbronn nach Tübingen - eine Verbindung
ohne Nachfrage - täuschen Zeitvorteile vor, die insgesamt
nicht zutreffen bzw. die nur wenige nutzen können. Der
hoch gelobte Zeitgewinn von knapp 5! Minuten auf dem Weg
nach München wird übrigens durch den zusätzlichen
Halt am Flughafen wieder aufgefressen.
Was anfangs aussah wie
ein sich selbst finanzierendes Vorhaben mit begrenzten öffentlichen Zuschüssen, wird immer
mehr zum Milliardengrab für die öffentliche Hand.
Dass die DB AG mit Stuttgart 21 mehr Verkehr, mehr Umsatz
und mehr Gewinn erzielen könnte, glauben angesichts
der inzwischen beschlossenen europäischen Liberalisierung
nur noch wenige. Dank Wettbewerb fahren zunehmend andere
im Nah- und bald auch im Fernverkehr zum Nachteil der DB
AG. Sie wird allenfalls mit Immobilienverkäufen (rund
600 Millionen) zur Finanzierung beitragen können. Übrigens
alles öffentliches Vermögen, das der Deutschen
Bahn zur Finanzierung der 21er Projekte überlassen wurde.
Die DB AG, einst Treiber des Projektes, hat deshalb und weil
es sich betriebswirtschaftlich nie rechnen wird, immer weniger
Interesse an Stuttgart 21. Nur mit politischem und finanziellem
Druck inklusive Koppelgeschäften bei der Bestellung
des Nahverkehrs und Bahnprivatisierung können die Befürworter
von einst bei der Stange gehalten werden.
Im Land fehlen die Mittel. Ob
die DB AG im Zuge der Bahnprivatisierung überhaupt
je Eigentümer werden kann, ist brisanterweise offen.
Tief in die Haushaltstasche und Verkehrsinvestitionstöpfe
greifen deshalb Land (insgesamt ca. 1,25 Milliarden), Stadt
und die Region (zusammen 585 Millionen) und schließlich
steht der Bund zu den so genannten „Sowieso-Kosten“ (453
Millionen) des Stuttgarter Neubauprojektes. Selbst die stadt-
und landeseigene Flughafengesellschaft muss einen Millionenbetrag
(etwa 150 Millionen Euro) beisteuern. Auch die Finanzierungskosten
und deren Verteilung verschieben sich fast täglich.
Stadt, Region, Flughafengesellschaft und vor allem das Land
sind bei der neuen Kostenrechnung (ohne Baukostenrisiken)
mit insgesamt 1,5 Milliarden Euro dabei; der Bund (noch)
mit rund 0,5 Milliarden. so genannter „Sowieso-Kosten“.
So werden die gesetzlichen Verkehrsmittel (GVFG, Regionalisierung
und Bundesschienenwegsausbaugesetz) für ein gigantisches
Stuttgarter Vorhaben verschlungen, während im übrigen
Land die Mittel für den Ausbau von Stadt-, Regional-
und S-Bahnen fehlen.
Erstaunlich ist, dass man diesen Zusammenhang
im Ländle
großzügig übersieht. Denn trotz üppiger öffentlicher
Zuwendungen fehlen, abhängig davon wie klein oder groß das
Kostenrisiko gerechnet wird mindestens mehrere hundert Millionen
Euro, gut und gerne auch mehr als 1 Milliarde.
Stadt, Land,
Bund und Bahn streiten weiter um die Finanzierung der Finanzierungslücke. Deutsche Bahn und Bund wollen
den Großteil dieser Baukostenrisikien an Stadt und
Land abdrücken (Motto: Sollen die dummen Schwaben doch
ihren teuren Tiefbahnhof selbst bezahlen). Dass das Projekt
unglaublich teuer und unsinnig ist, wird zwar hinter vorgehaltener
Hand immer öfter in Berlin gesagt. Es traut sich aber
keiner, weder bei der DB AG, noch im Verkehrsministerium
die Reißleine zu ziehen und sich mit den mächtigen
Interessen aus Baden-Württemberg an zu legen. Nach dem
Motto, wir wollen jetzt auch mal ein teures Großprojekt,
nicht nur die im Osten, machen die CDU-Granden Druck. Kosten/Nutzen- Überlegungen
und politische Gesamtverantwortung spielen in diesem Fall
einstweilen keine Rolle. Wie lange noch?
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