Erklärung von Hans-Christian Ströbele,
Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke
und Winfried Hermann zur Abstimmung über die Verlängerung
des Einsatzes der Bundeswehr vor Somalia und im Indischen
Ozean (ATALANTA-Mission) gemäß § 31 GO-BT
ANTRAG DER BUNDESREGIERUNG:
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor
der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der
Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008,
1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008)
vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November
2008 und dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union
vom 8. Dezember 2009 (BT-Drs. 17/179)
Wir lehnen den Antrag der Bundeswehr, weiter Marinesoldaten der Bundeswehr
vor der Küste Somalias und im Indischen Ozean einzusetzen, ab.
Die Bundeswehr existiert zur Verteidigung. So steht es im
Grundgesetz. Sie ist nicht dafür da, polizeiliche Aufgaben
im Ausland zu übernehmen und Straftaten zu verfolgen
oder zu verhindern, auch nicht zum Schutz der Handelswege
im Indischen Ozean. Dafür sind die Soldaten auch nicht
ausgebildet.
Insbesondere fehlen ihnen die notwendigen Kenntnisse und rechtlichen Voraussetzungen,
vor allem zur Festnahme von Piraterie-verdächtigen Personen. So bewegen
sich die Soldaten bei deren Aufspüren und Festhalten über Tage
oder möglicherweise Wochen sowie bei deren Übergabe an Behörden
anderer Staaten am Rande der Legalität.
Der Einsatz der Bundeswehr stellt nicht das allerletzte Mittel bzw. die äußerste
Notmaßnahme zur Verhinderung und Aufklärung von Überfällen
durch Piraten dar. Denn andere Möglichkeiten wurden gar nicht erst versucht.
Die Ursachen der steigenden Zahl von Überfällen und Entführungen
von Schiffen der christlichen Seefahrt sowie der Erpressung von Reedern wurden
nicht untersucht und schon gar nicht beseitigt. Auch auf eine langfristige
Stabilisierung Somalias wurde bisher nur halbherzig hingearbeitet.
So hat die internationale Gemeinschaft etwa gegen das Leerfischen
der ehemals fischreichen Gewässer vor der Küste
Somalias durch europäische und japanische Fischfabriken
nicht nur nichts unternommen, sondern dieses Treiben sogar
durch Finanzmittel gefördert. Für die Zukunft ist
im aktuellen AtalantaBeschluss der EU gar vorgesehen, diese
Industrieschiffe aus Europa und deren Fischraub sogar noch
durch die Bundesmarine und deren Verbündete zu schützen.
Der Einsatz der internationalen Armada von mehreren Dutzend
großer Kriegsschiffe im Indischen Ozean ist auch ineffektiv.
Seit Beginn der OEF- und Atalanta-Einsätze ist die Anzahl
der Kaperungen und Angriffe auf Handels- und Passagierschiffe
nicht zurückgegangen, sondern rapide angestiegen. Laut
internationaler Seefahrtsbehörde gab es allein in den
ersten neun Monaten dieses Jahres 150 Angriffe durch Piraten,
mehr als doppelt so viel wie im gesamten Vorjahr.
6. Die zur Abstimmung stehende Verlängerung des Einsatzmandats
weitet das Einsatzgebiet der internationalen Militärflotten
noch weiter aus als bisher. Es soll nun über 500 Millionen
Quadratkilometer umfassen. Sollten die Flotten anfangs nur
in der Region vor der Küste Somalias eingesetzt werden,
so gehören nach der nun zur Abstimmung stehenden Erweiterung
des Mandats inzwischen auch weite Teile des Indischen Ozeans
zum Operationsgebiet. Es werden sogar Flottenstützpunkte
Hunderte von Meilen entfernt eingerichtet, wie auf den Seychellen.
Der Militäreinsatz gegen Piraten wird also immer weiter
sowie länger ausgedehnt und droht zu einem Dauereinsatz
im Indischen Ozean zu werden. Eine Eskalation und Ausweitung
auf das Festland in Somalia ist zu befürchten.
Die Kosten des Einsatzes dieser Militärflotten sind
um ein Vielfaches höher als alle Schäden, die durch
die Piraterie angerichtet wurden.
Mit einem Bruchteil der für Soldaten und Kriegsschiffe problemlos zur
Verfügung gestellten vielen Hundert Millionen Euro (allein Deutschland
zahlt jährlich knapp 50 Millionen) hätte man einen großen Teil
der somalischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgen und die wirtschaftliche
Entwicklung heraus aus Elend und Arbeitslosigkeit vorantreiben können.
Anstelle der Verlängerung des Atalanta-Mandats könnte jetzt noch
mit gezielter wirtschaftlicher Entwicklungshilfe dem Land geholfen und die
Piraterie wirkungsvoller eingedämmt werden
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