Erklärung zur Abstimmung nach § 31 GO
der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Sylvia Kotting-Uhl,
Memet Kilic, Uwe Kekeritz, Winfried Hermann und weitere Abgeordnete
Zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung
auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan (International Security Assistance Force,
ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolution
1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1890 (2009) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
(BT-DRS: 17/39)
Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung
des Einsatzes der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan im Rahmen
von ISAF ab. Dieser Einsatz ist falsch und nicht zu verantworten.
Das beantragte Mandat zieht keine Konsequenzen aus den bisherigen
Erfahrungen. Es will eine unveränderte Fortsetzung des
Militäreinsatzes für ein weiteres Jahr. Die Mittel
dafür werden ohne überzeugende Begründung
um 230 Millionen Euro erhöht. Die Ergebnisse der Afghanistankonferenz
2010 werden erst gar nicht abgewartet. Ein Strategiewechsel,
weg vom militärischen Ansatz hin zum verstärkten,
dezentralen zivilen Aufbau ist weder im Mandat noch in der
Politik der Bundesregierung und der NATO erkennbar. Eine
verantwortbare Abzugsperspektive wird nicht eröffnet.
Wir befürchten, gerade angesichts der massiven Aufstockung
der US-Truppen um weitre 30.000 SoldatInnen, eine Fortsetzung
und Intensivierung der kriegerischen Auseinandersetzungen.
Wir befürchten zahlreiche weitere zivile und militärische
Opfer. Der Frieden, der zivile Aufbau und eine nachhaltige
Entwicklung rücken in weite Ferne. Genau diese friedliche
Perspektive wollen wir aber eröffnen.
Seit Oktober vergangenen Jahres hat der Einsatz der Bundeswehr
nicht mehr Sicherheit für die Bevölkerung im Norden
Afghanistans gebracht, sondern die Sicherheitslage hat sich
erneut dramatisch verschlechtert.
Die Zahl der getöteten ZivilistInnen in Afghanistan
stieg im ersten Halbjahr 2009 noch einmal auf ca. 1.500,
d.h. 31% mehr als im Vorjahreszeitraum. Viele tausend Menschen
wurden verletzt und verstümmelt.
Der angebliche Strategiewechsel, der dem Schutz der Bevölkerung
absolute Priorität einräumt, ist nicht erkennbar.
Bombardierungen der US-Luftwaffe sind keineswegs nur auf
Nothilfe für NATO-Truppen in Gefahrensituationen eingeschränkt,
sondern ein häufig genutztes Mittel zur Vernichtung
des Feindes. Auch Bundeswehreinsätze im Rahmen von ISAF
finden mit massiver Unterstützung durch US-Bomber und
Drohnen statt. Auf Anforderung und Anweisung von SoldatInnen
der Bundeswehr wurden Bomben und Raketen geworfen und zahlreiche
ZivilistInnen getötet und verletzt wie in der Nähe
von Kundus bei dem Angriff auf Tanklastwagen am 4. September.
Hinzu kommen Offensiven der US- und afghanischen Truppen
im Rahmen von OEF in Sichtweite der deutschen Bundeswehrstandorte
wie zuletzt Anfang November in der Nähe von Gul Tepa,
als ein abgeriegeltes Gebiet unter den Augen der Bundeswehr
fünf Tage und fünf Nächte lang bombardiert
und viele Menschen getötet wurden.
Mit einem solchen Vorgehen wird nicht wirksam gegen Terrorismus
vorgegangen, sondern damit wird immer neuer Hass gesät
und Terrorismus geschürt und gefördert.
Sogar General Stanley Mc Chrystal, der Kommandeur der ISAF-Truppen,
hat auf diese Gewaltspirale hingewiesen: Töte man zwei
von zehn Aufständischen, sehe man sich danach nicht
acht sondern häufig 20 Rebellen gegenüber, da sich
Brüder, Väter, Verwandte und Freunde dem Widerstand
anschlössen.
Statt immer mehr Soldaten und mehr Krieg, wollen wir den
Krieg in Afghanistan beenden in verantwortbarer Weise.
Daher müssen die offensiven Bomben- und Raketenangriffe
aus Flugzeugen und Drohnen gestoppt werden, da sie fast immer
auch unschuldige Zivilisten treffen.
Wir wollen nicht immer mehr militärische Gewalt sondern
einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.
Waffenstillstandsverhandlungen, die in der Vergangenheit
immer wieder schon für Teilregionen zuweilen durchaus
erfolgreich geführt wurden, und die Entwicklung einer
verantwortbaren Exit-Strategie sind die Alternativen.
Verhandlungen darüber müssen aufgenommen werden
bedingungslos mit allen in Afghanistan und in den Nachbarländern,
die dazu bereit sind.
Auch für den zivilen Aufbau des Landes ist ein Ende
der Kampfhandlungen und des Krieges die wichtigsten Voraussetzungen.
Unter Kriegsbedingungen kommt der Einsatz ziviler Aufbauhelfer
in vielen Regionen immer mehr zum Erliegen. So gibt es Meldungen,
dass auch im Verantwortungsbereich der Bundeswehr etwa in
Kundus Angehörige von Hilfsorganisationen immer weniger
die besonders gesicherten Quartiere verlassen und die Bevölkerung
unterstützen können. Staatliche deutsche Entwicklungsorganisationen
müssen immer wieder ihre Mitarbeiter zurückrufen
und zeitweise die Arbeit einstellen.
Die Vermischung von zivilem und militärischem Engagement
liefert den Aufständischen Vorwände, auch die
Arbeit der EntwicklungshelferInnen als feindliche Aktivitäten
zu denunzieren.
Wenn der Krieg beendet wird, kann zumindest ein Teil der
Gelder, die heute ohne weiteres und anscheinend unbegrenzt
für Militäroperationen zur Verfügung stehen,
sinnvoll und wirksam für den Aufbau umgewidmet werden.
Damit werden die Köpfe und Herzen der Menschen gewonnen,
nicht durch ständiges Eskalieren des Krieges.
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