Kolumne Schwäbisches
Tagblatt
Tübingen, 02.12.2005
(Zwangs-)Bündnis mit wenig Perspektiven
Nach zweieinhalb Monaten des Ringens beginnt die neue
Regierung endlich zu regieren. Die Oppositionsarbeit
hat nun einen konkreten Bezug. Die Schonzeit ist vorbei.
Es gilt, die große Koalition an den großen
Herausforderungen zu messen und nicht an ihrem kleinsten
gemeinsamen Nenner.
Verglichen mit den großen Themen des Wahlkampfes
weist der Koalitionsvertrag kaum perspektivische Konzepte
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Lösung
der Finanzprobleme der Sozialversicherungssysteme und
auch keine Strategie zum Abbau der Staatsverschuldung
auf. Hehrere Worte dazu findet man nur im Vorwort unter
dem schönen Motto: „Sanieren, konsolidieren,
investieren“.
Statt wegweisender Konzepte, wie Arbeitslosigkeit
bekämpft und Wachstum angestoßen werden kann,
kleinliche Korrekturen an Hartz IV-Arbeitsmarktregelungen
und altbekannte Glaubenssätze zum Wirtschaftswachstum,
das „irgendwie“ die Probleme lösen
würde.
Der Koalitionsvertrag steckt voller Widersprüche.
Beispiel: Verkehrspolitik. Trotz allgemeiner Bekenntnisse
zur Notwendigkeit von Klimaschutzpolitik sucht man im
Verkehrsbereich vergeblich nach konkreten Umsetzungen.
Im Gegenteil: Der Flugverkehr wird als wunderbare Wachstumsbranche
dargestellt, die man entsprechend den Wünschen
der Flugwirtschaft unterstützen will, also weiter
Steuerprivilegien erhalten. Zum Schienenverkehr vollmundige
Bekenntnisse zum weiteren Ausbau der Infrastruktur bei
gleichzeitiger Ankündigung drastischer Kürzungen
(-3.1Mrd. in vier Jahren) der so genannten Regionalisierungsmittel.
Das bedeutet, dass die Länder deutlich weniger
Geld für die Bestellung der Nahverkehrsangebote
zur Verfügung haben werden. Faktisch fiele jeder
5. Nahverkehrszug aus, wenn die Länder im Bundesrat
der Bundesregierung folgen würden.
Widersprüche auch in der Steuer- und Lohnnebenkostenpolitik:
Während man mit einem Teil der Mehrwertsteuereinnahmen
die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senkt, trägt
man gleichzeitig dazu bei, dass die Beiträge zur
Kranken- und Rentenversicherung steigen. Am Ende würden
die Lohnnebenkosten um ca. 1 Prozent sinken. Wahrlich
kein großer Schlag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
v.a. wenn man bedenkt, dass mit der Mehrwertsteuererhöhung
um 3 Prozent die Preise z.B. im Dienstleistungsbereich
drastisch steigen werden. Das wird die Nachfrage eher
abwürgen und die Schwarzarbeit ankurbeln.
Fazit: Die Große Koalition hat für die
wirklich großen Herausforderungen keine angemessenen
Antworten. Im Koalitionsvertrag wurden wichtige Themen
wie Gesundheits-, und Pflegereform sogar vollständig
ausgeklammert. Das (Zwangs-)Bündnis kommt pragmatisch,
widersprüchlich und konzeptionslos daher. Für
uns als Opposition gibt’s also viel Arbeit.
zurück...
|