home (zurück zur Startseite)
Aktuelles | Kolumne Schwäbisches Tagblatt | Wahlkampf 2005 | Links

Kolumne Schwäbisches Tagblatt

Tübingen, 20.08.2004

Neue Arbeitsplätze durch Arbeitszeitverlängerung?

Die Deutschen haben zu viel Urlaub, sie arbeiten zu wenig, und sie haben zu viele Feiertage. Wir müssen länger arbeiten, um konkurrenzfähig zu sein. Die deutschen Löhne sind zu hoch.“ Diese Sprüche, die derzeit gebetsmühlenartig und unkritisch heruntergeleiert werden, sind ziemlich fragwürdig.Die Argumente für längere Arbeitszeiten sind wenig überzeugend und wenig ökonomisch. Die Forderung: Viel arbeiten schafft Arbeitsplätze gleicht der These: Viel essen macht schlank.

Es gibt unterschiedlichste Statistiken zur Behauptung, wir würden weniger arbeiten als unsere europäischen Nachbarn. Diese Untersuchungen weisen alle Schwächen auf, oftmals werden über Zahlen Äpfel mit Birnen verglichen. Keine Statistik liefert die reine Wahrheit. Allerdings gibt es für die These, dass die Arbeitszeiten in Deutschland im Vergleich eher durchschnittlich sind, bessere Belege als für die Behauptung, die Deutschen seien Freizeitweltmeister.

Deutschland rangiert, was die Kosten von IndustriearbeiterInnen je Stunde angeht, international vorn. In China oder Ungarn liegen die Löhne deutlich unter unserem Niveau. Stimmt. Doch am Produktionsprozess sind auch Angestellte beteiligt und die Zahl der Arbeiter sinkt. Der Anteil der Löhne an den Gesamtkosten in der exportorientierten Industrie (Bsp. Automobilindustrie) ist inzwischen relativ gering, Material, Mieten, Transport oder Forschung und Technologie kosten längst viel mehr. Lohnkosten allein sagen also wenig aus. Sie sind im Verhältnis zur Produktivität zu sehen. Erst daraus ergeben sich die Lohnstückkosten, auf die es im internationalen Konkurrenzkampf ankommt.

Wettbewerbsfähigkeit heißt eben auch: Die Produkte müssen nicht nur billiger, sondern auch besser werden. Wir sind Exportweltmeister und stecken trotzdem in der Krise. Deutsche Produkte sind der Renner überall, nur nicht bei uns. Denn das ist doch das Kernproblem: Die Binnennachfrage fehlt. Made in Germany leisten sich immer weniger Germans. Mehr Arbeiten würde das wohl kaum ändern. Vergessen wir nicht: Arbeitszeitverlängerung bedeutet de facto Lohnkürzung. Das wird das Shoppingfieber und die Nachfrage nach Dienstleistungen mit Sicherheit nicht anheizen. Wer soll die mehr produzierten Produkte eigentlich kaufen? Und woher kommt eigentlich die viele zusätzliche Arbeit? 7 Millionen Menschen rufen doch schon: her damit.

Die Diskussion ist darüber hinaus schlecht für das soziale Klima in Deutschland: Ständig wird von den ArbeitnehmerInnen gefordert, den Gürtel enger zu schnallen und zeitgleich bedienen sich Manager und Aufsichtsräte hemmungslos. Als ob sie den Hals nicht voll genug kriegen könnten. Im Übrigen mit dem gleichen Argument, wie auch ein (Fach)Arbeiter sein Geld nicht geschenkt bekommen will: Qualifiziertes Personal muss gut bezahlt werden, sonst wechselt es zur Konkurrenz. Ich halte die Forderung nach Verlängerung der Arbeitszeit schlicht für einfallslos. Arbeitszeitverlängerung wird zu Lohndumping führen und keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Stattdessen müssen die, die schon Arbeit haben, noch mehr leisten und die, die keine Arbeit haben, bekommen erstrecht nichts ab. Arbeitszeitverlängerung und Lohnkosten senken hilft nicht. Notwendig sind wirkliche Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen, die die Menschen brauchen und bezahlen können. Es ist Zeit, dass auch die Führung der Wirtschaft ihren Beitrag leistet, sich zum Standort Deutschland bekennt und sich solidarisch mit der deutschen Gesellschaft erklärt.



Wahlkreisbüro Winfried Hermann
Rümelinstraße 8
72070 Tübingen
Tel: 0 7071/ 252757
Fax: 0 7071/ 252559
Email: winfried.hermann@wk.bundestag.de


zurück...