Tagebuch Winne Hermann
aus Johannesburg
Dienstag 3.9.2002, abends:
Noch ist der Gipfel nicht beendet, die politische Erklärung
und das Aktionsprogramm nicht endgültig verabschiedet
- und doch werden überall schon die Bilanzen gezogen.
Aus Deutschland erreichen uns bereits die Tickermeldungen
über Erfolge hier. Misserfolge. Einfache Strickmuster
werden gepflegt. Das Klischee vom gescheiterten Gipfel
wird von manchen gar gesucht. Ich sehe das etwas anders:
Gemessen an dem, was rasch und dringend gegen Armut,
Hunger, Klimakatastrophen getan werden müsste,
ist alles was auf dem 70-seitigen Aktionsplan steht
zu wenig. Wenn man allerdings die Konferenz- und Arbeitsstrukturen
(groß und ineffizient) dieses Gipfels erlebt hat,
dann ist es geradezu erstaunlich, dass so viel Sinnvolles
und Substanzielles herausgekommen ist. Wenn man sich
bewusst macht, dass jedes Land - und über 190 waren
beteiligt - eingreifen und den Konsensprozess blockieren
kann, dass sich leicht Interessenallianzen und Blockadekoalitionen
bilden können, dann sind die Ergebnisse der langwierigen
Vorverhandlungen und die Debatten hier durchaus erfolgreich
gewesen.
Aus meiner Sicht die wichtigsten
Punkte:
- 10 Jahre nach Rio ist das Konzept der Nachhaltigen
Entwicklung weltweit als einzig mögliche Antwort
zur Bekämpfung von Armut, sozialer Ungerechtigkeit
und globaler Umweltgefährdung akzeptiert. Alle
StaatspräsidentInnen und MinisterInnen haben
in ihren Reden einhellig bestätigt und zugleich
festgestellt, dass deutlich mehr hätte getan
werden müssen und dass endlich wirkungsvolle
Aktionspläne verabschiedet werden müssen.
Daran kann man sie alle erinnern. Das ist eine Selbstverpflichtung,
die ernstgenommen werden muss.
- Was Nachhaltige Entwicklung bedeutet, wird sowohl
in der politischen Erklärung, als auch im Aktionsplan
konkretisiert. Als wichtige (ökologische) Fortschritte
sehe ich:
- dass bis 2015 die Zahl der Menschen ohne Trinkwasser
und sanitäre Ver- und Entsorgung halbiert werden
soll; ein sehr anspruchsvolles Ziel
- dass bis 2020 die negativen Auswirkungen von Chemikalien
auf die Umwelt und Gesundheit minimiert werden soll
- dass Erneuerbare Energien eine große Bedeutung
für Wohlstand und Klimaschutz haben und deshalb
dringend substantiell ausgebaut und genutzt werden
sollen.
- Positiver ist die Rede von Kanzler Schröder
zu werten:
- Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sollen
in Entwicklungsländern in den kommenden 5 Jahren
mit je 500 Mio € gefördert werden
- den Allianzen der Ölproduzenten und Ölverschwender
wird ein weltweites Netz der Energieagenturen entgegengestellt
werden
- eine Weltenergiekonferenz soll Effizienz und Erneuerbare
Energien voranbringen.
- Positive Wirkungen haben mit Sicherheit die vielen
Veranstaltungen, Diskussionen und Vorstellungen beispielhafter
Projekte. Unglaublich viele Parallelveranstaltungen
für Tausende von Menschen haben einen weltweiten
Nachhaltigkeitsdialog vorangetrieben: NGOs, (große)
Unternehmen, Kommunen etc. werden unabhängig
von den letztlich verabschiedeten Texten diese Welt
nachhaltig ändern.
Das alles kam durch den Nachhaltigkeitsgipfel zustande.
Auch das ist ein enormer Erfolg.
Es kommt darauf an, was wir in Deutschland und die
Menschen der anderen Staaten (gemeinsam) daraus machen.
Packen wir es an!
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