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Krisenprävention als neue Priorität
Interview mit Winfried Hermann zur Friedens- und Außenpolitik

 
 

Frage: Du bist auch 30 Jahre nach deiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer immer noch Pazifist. Nichts dazu gelernt?

W.H.: Pazifismus ist eine moralische Grundhaltung, aber auch eine politische Einstellung: Ich will und kann niemanden töten und will alles tun, dass andere auch so denken und handeln. Pazifisten bekämpfen Militarismus und ’militärische Lösungen’. Statt dessen drängen wir auf zivile Konfliktlösungen. Es geht darum, Gewalt und Kriege zu verhindern, und zwar rechtzeitig. Pazifismus heute heißt zu allererst: Prävention von Krisen und Kriegen. Das ist heute so nötig wie vor 30 Jahren im kalten Krieg.

Frage: Gilt das alles auch noch nach dem 11.September 2001?

W.H.: Selbstverständlich fragt sich ein kritischer und politischer Pazifist immer wieder aufs Neue, kann man auf militärische Mittel verzichten, ist die gewaltfreie Einstellung noch angemessen? Ich sehe nicht, dass man mit Bomben und Raketen den neuen internationalen Terrorismus, der intelligent moderne technische Mittel einsetzt und sich in unseren Ländern geschickt versteckt, wirklich bekämpfen kann. Man kann Regime wie das der Taliban in Afghanistan beseitigen unter in Kaufnahme vieler ziviler unschuldige Opfer. Zu glauben, damit sei der Terrorismus besiegt wäre aber naiv. Ich bin für eine harte und konsequente Terrorismusbekämpfung, aber mit rechtsstaatlichen und polizeilichen Mittel. Dazu müssen die Staaten besser zusammen arbeiten, auch beim Austrocknen der Finanzstrukturen. Kriegsverbrecher gehören vor den internationalen Strafgerichtshof, gleichgültig, aus welchem Land sie kommen.

Frage: Und das soll wirklich reichen?

W.H.: Das wird selbstverständlich nicht reichen. Solange es auf dieser Welt schreiende Ungerechtigkeit gibt, solange in manchen Regionen ganze Völker kein Recht auf Selbstbestimmung haben, solange junge Leute keine Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft haben, so lange wird es Hass, Gewalt und die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf oder zum terroristischen Anschlag geben. Nur wenn wir diese Ursachen, diesen Nährboden beseitigen, wird der Kampf gegen Terrorismus und Gewalt gewonnen werden.

Frage: Das klingt wie die Verheißung einer schönen friedlichen Welt. Aber was bedeutet das konkret, wie willst du das schaffen?

W.H.: Wir brauchen in der internationalen Sicherheitspolitik Krisenprävention als neue Priorität. Dazu gehört die Verbesserung der Wahrnehmungsfähigkeit von Konflikten ebenso wie frühzeitiges Eingreifen, auch von der UN, bevor es zum Krieg kommt. Dazu muss die UN auch in ihrer Eingriffsfähigkeit gestärkt werden. Ich will eine UN, die mit internationalen Einheiten Frieden bewahren oder Kriege verhindern kann, aber keine neue Eingriffsarmee im Interesse der Großmächte.
Wir müssen über die WTO gerechte Welthandelsbeziehungen schaffen, die auch schwachen Ländern eine faire Chance der wirtschaftlichen Entwicklung geben. Wir müssen die Entschuldungsinitiative fortsetzen und die armen Staaten von dieser Schuldenlast befreien. Wir müssen mehr tun für die Entwicklung dieser Länder: Ökonomisch, ökologisch und sozial, sonst werden wir nicht in Frieden leben können. Wir müssen weltweit die demokratischen Kräfte und den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaat fördern. Das ist die globale Herausforderung. Die 1992 in Rio von den Staaten der Welt gefundene Entwicklungsformel heißt sustainable development, zu Deutsch nachhaltige Entwicklung. Nachhaltigkeit muss zur Leitidee für die nationale und internationale Politik werden. Und vor allem lebenspraktisch.



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