Standpunkte
30.01.2006
Winne Hermann: Atomare Ent-Rüstung
Der Ärger und die Aufregung sind groß. Der
Iran will ein eigenes, angeblich rein-ziviles Atomprogramm
entwickeln. Diejenigen, die selbst die meisten Atombomben
und Atomkraftwerke haben, sind am meisten besorgt. Die
Sorgen sind berechtigt, die Entwicklung im Iran ist
in jeder Hinsicht bedrohlich und gefährlich für
den Weltfrieden. Und doch ist die Empörung v.a.
der USA, Frankreichs, Großbritanniens, aber auch
Israels scheinheilig. Wer selbst mit Atom hantiert,
ja sogar wie Chirac und Bush den atomaren Erstschlag
propagiert und für sich das Recht zum Atomschlag
reklamiert, der muss sich nicht wundern, wenn andere
Staaten das Gleiche begehren. Leider!
Der (scheinheilige) Streit um das Atomprogramm des
Iran
Wie 190 andere Staaten ist der Iran Unterzeichner des
Atomwaffensperrvertrages und darf damit – im Unterschied
zu den 5 Atommächten – zwar keine Atomwaffen
haben, wohl aber die Atomenergie friedlich nutzen. Durch
Duldung von Kontrollmaßnahmen die internationale
Atomenergie-Organisation (IAEO) soll verhindert werden,
dass es zur militärischen Nutzung kommt. Vor allem
die USA und Israel verdächtigen den Iran, sein
Atomprogramm nicht offen zu legen, sondern heimlich
Atomwaffen zu bauen. Das ist allerdings bis heute nicht
stichhaltig bewiesen, wird von der IAEO auch nicht behauptet.
Wenngleich viele Ungereimtheiten einen daran zweifeln
lassen, dass die Beteuerung, keine Bomben bauen zu wollen,
der Wahrheit entspricht. Zwei der IAEO zu meldende Atomanlagen
wurden erst durch Information einer Widerstandsgruppe
international bekannt, zweimal verweigerte der Iran
den IAEO-Inspektoren – vertragswidrig –
den Zugang zu verdächtigen Einrichtungen.
Der Iran betreibt eine Reihe von atomaren Anlagen, z.B.
eine Urankonversionsanlage und eine Urananreicherungsanlage,
einen sog. MIX-Forschungsreaktor und eine Atommüllverarbeitungsanlage.
Außerdem soll ein mit russischer Hilfe 1000 MW-Leichtwasserreaktor
noch in diesem Jahr ans Netz gehen.
Der Iran ist offenbar dabei, eine eigene Atomwirtschaft
aufzubauen, was durch ein Lieferangebot für Brennstäbe
und ihre Entsorgung/Wiederaufarbeitung durch die EU
verhindert werden soll. Bislang erfolglos.
Der Atomwaffensperrvertrag hat erhebliche Mängel
Am Beispiel Iran wird die Krux des Atomwaffensperrvertrages
von 1970 (Non-Proliferation Treaty, abgekürzt NPT)
deutlich. Die Atommächte haben sich ihr Monopol
auf den Besitz von Atomwaffen völkerrechtlich absichern
lassen. Der Preis dafür, dass alle übrigen
Staaten dieses Monopol anerkannten, war die zivile Atomenergienutzung
für alle. Zugleich verpflichteten sich die Atomwaffenstaaten,
Verhandlungen über Abrüstung und Abschaffung
aller Atomwaffen vorzunehmen.
Das Manko des scheinbar genialen Vertrages ist, dass
die Abrüstungsverpflichtung nicht konkretisiert
und kein Zeitplan festgelegt wurde. Die Krux besteht
darin, dass die zivile und friedliche Nutzung eng zusammenhängen,
dass vor allem bei der Wiederaufbereitung waffenfähiges
Material erzeugt werden kann. Hinzu kommt, dass die
Atomanlagen der Atommächte genauso wenig kontrolliert
werden wie die der Nichtunterzeichnerstaaten Indien,
Nordkorea, Israel und Pakistan.
Zwar konnte der Sperrvertrag illegale Atomprogramme
und militärische Konkurrenz behindern, aber eben
nicht verhindern. So stieg der Zahl der Atomwaffen auf
127 000 an, trotz diverser Abrüstungsverträge:
Und nach 1970 gab es sogar noch 2000 Atombombentests,
die die Atmosphäre noch bis heute belasten.
Seit 1995 gilt der NPT auf unbegrenzte Zeit. Im Jahr
2000 verpflichteten sich die Atomstaaten (erneut!) zur
vollständigen atomaren Abrüstung, doch seit
dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 nahm die
USA davon Abstand. Und die anderen Atommächte drängten
auch nicht zur Vertragserfüllung.
Atomare Abrüstung und Atomenergieausstieg
braucht Initiativen
Fazit: Der Atomwaffensperrvertrag wäre ein gutes
Vertragswerk, die Atomwaffen weltweit und vollständig
zu beseitigen. Wäre! Wenn die Atommächte den
Willen dazu hätten und die anderen 185 Staaten
sie dazu drängen würden. Sein Konstruktionsmangel,
stattdessen zivile Nutzung zu fördern, konterkariert
das Friedensziel, weil die Trennung zwischen militärischer
und ziviler Nutzung künstlich ist und letztlich
nicht durchgesetzt werden kann. Vor allem die sog. Blockfreien
Staaten empfinden den NPT als diskriminierend. Frei
nach dem Motto, was die imperialistische USA darf, das
wollen wir auch tun dürfen.
Die neue Führung im Iran reitet voll auf dieser
Ideologie der atomaren „Emanzipation“. Mit
ihrer aggressiven Kriegs- und Aufrüstungspolitik
hat die USA ein gerüttelt Maß an Schuld an
dieser reaktionären Politik. Jede Empörung
des hochgerüsteten, atomernergienutzenden „Westens“
ist allerdings wenig überzeugend. Nur eine friedliche,
kooperative Außenpolitik, verbunden mit beispielhafter
Abrüstung; nur eine Energiepolitik der Energieeinsparung
und Nutzung natürlicher regenerativer Energie statt
Energieverschwendung und Sicherung von ÖL und Ressourcen
durch Krieg wären wirklich friedensbringend. Eine
solche Politik würde den neuen, gefährlichen
Hardlinern im Iran oder sonst wo den Boden entziehen.
Wir sollten im 20. Jahr nach der Tschernobylkatastrophe
nicht nur die zivile Nutzung der Atomenergie problematisieren.
Als Teil der Friedensbewegung muss uns auch die atomare
Abrüstung wieder mehr zum Anliegen werden.
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