Ein Jahr Sportpolitik der großen Koalititon -
Zeit für einige
kritische Anmerkungen.
Meine Rede am 29.September im Deutschen Bundestag
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor einem Jahr hat sich die große Koalition
sportpolitisch zusammengerauft, im Koalitionsvertrag
den ersten verbalen Flachpass produziert und jetzt ein
Jahr lang geübt und trainiert, um einen großen
verbalen Wurf zum Sport vorzustellen. In der Tat, es
ist ein verbaler Wurf. Umfassend werden die Probleme
und Herausforderungen beschrieben; die Benachteiligten
und Behinderten haben Sie übrigens vergessen. Umfassend
wird die Notwendigkeit beschrieben, dass umfassend gehandelt
werden soll. Leider muss man sagen: Das, was Sie in
dem vorliegenden Antrag produziert haben, ist umfassend
allgemein. Auch Ihre Reden waren so allgemein.
Sie vermeiden es, eigene, klare bundespolitische Konzepte
vorzulegen, die Sie hier durchsetzen und verantworten
können.
(Klaus Riegert [CDU/CSU]: Die Sie sieben Jahre
lang vorgelegt haben!)
Sie reden über das, was andere Ebenen tun sollen.
Insofern haben Sie sozusagen folgenden Beitrag geliefert:
Wort statt Sport!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Zuruf von der LINKEN: Sehr richtig!)
Sie haben viel gesprochen und nichts dazu gesagt, was
Sie tun wollen.
Was könnte der Bund tun? Der Bund kann einiges
tun, auch wenn er verfassungsmäßig gar nicht
für die Schule, den Schulsport usw. zuständig
ist.
Trotzdem kann er etwas tun.
Beispiel eins: Sportstättenbau und Sportstättensanierung.
Sie haben wortreich beschrieben, wie schwierig die Situation
ist. Aber den Goldenen Plan Ost haben Sie schon jetzt
beschnitten. So kann man zwar vorgehen; aber Sie haben
überhaupt keine Alternativen vorgelegt. Zum Beispiel
hätte man sagen können: Es gibt ein erfolgreiches
Altbausanierungsprogramm, mit dem von der KfW und über
den Bundeshaushalt der Klimaschutz gefördert wird.
Man hätte sagen können: Wir legen ein Sportstättensanierungsprogramm
auf, weil Sportstätten auch ökologisch saniert
werden müssen und es auch dort etwas zu fördern
gibt. Sie könnten umweltfreundlich umgestaltet
werden. Das wäre ein Anstoß, die Sportstättensituation
auf diese Weise zu verbessern.
(Beifall bei der LINKEN – Detlef Parr [FDP]:
Unseren Antrag haben die Grünen aber abgelehnt!)
Man hätte das Förderprogramm „Spiel-
und bewegungsfreundliche Stadt“ auflegen können.
Ich will nicht sagen, dass man Milliarden hätte
ausschütten können. Aber man hätte zumindest
Anstöße geben und die Kommunen davon überzeugen
können. Man hätte auch sagen können:
Wir sehen die Notwendigkeit, das Bundesbaugesetzbuch
zu ändern und hineinzuschreiben, dass wohnortnahe
Spiel- und Sportgelegenheiten zu schaffen sind bzw.
dass die bestehende Situation zu verbessern ist.
Nichts ist getan worden.
Beispiel zwei. Sie sprechen davon, dass Bewegung im
Alltag besonders wichtig ist. Wir haben vor einigen
Jahren den Masterplan Fahrrad aufgelegt und noch zu
rot-grünen Zeiten umgesetzt. Seitdem herrscht Stagnation.
Hier könnte man sagen: Bewegung ist im Alltag wichtig;
also fördern wir das sichere Radfahren von Kindern
und Jugendlichen zur Schule oder von Erwachsenen zu
ihren Arbeitsplätzen. Daran hätten Sie ansetzen
und sagen können: Wir wollen, dass das endlich
umgesetzt wird, und wir wollen nicht nur darüber
reden.
Dritter Punkt. Sie haben alle schon aus der KIGGS-Studie,
die in dieser Woche herauskam, zitiert; sie wurde übrigens
von Rot-Grün angestoßen. Darin gibt es ein
Modul „Motorik“ und man muss festhalten:
Die Ergebnisse sind nicht so dramatisch schlecht, wie
es vorher behauptet wurde.
(Detlef Parr [FDP]: Aber der Gesundheitszustand
der Kinder ist doch nicht toll!)
Es ist allerdings klar geworden, dass das von der sozialen
Schicht der Familie abhängt. Kinder aus Migrantenfamilien
oder aus sozial benachteiligten Schichten schneiden
besonders schlecht ab, im Hinblick sowohl auf die Übergewichtigkeit
als auch auf die Beweglichkeit. Dabei gibt es schon
seit einigen Jahren ein Programm namens „Integration
durch Sport“. Dies ist aber mit viel zu geringen
Mitteln ausgestattet und hat deshalb das Integrationsangebot
nicht wirklich bereichern können. Wir wollen die
Mittel dafür aufstocken, weil wir da einen Schwerpunkt
sehen. Wir wollen die Benachteiligung beim Sport durch
verschiedene Modelle aufgreifen und wollen das flächendeckend
im Land umsetzen, um Anstöße für die
Kommunen und Länder zu geben, damit sie in diesem
Bereich etwas tun.
Die KIGGS-Studie mahnt ganz eindeutig an: Hier ist
politische Intervention angesagt. Sie haben das ja sogar
zitiert. Aber wo ist Ihre konkrete politische Intervention?
Es passiert nichts. Der Antrag ist ein allgemeiner verbaler
Rundumschlag über das Gute und das Schöne
im Sport und darüber, wie notwendig und wichtig
der Sport ist. In allen Punkten, wo man hätte konkret
werden können, sind Sie nicht konkret geworden.
Wer wirklich etwas dazu beitragen will, dass Bewegung
und Sport in Deutschland gefördert werden, der
sollte Sportpolitik nicht als besorgtes Plaudern über
die Misere im Sport und die allgemeine Unbeweglichkeit
der Jugend missverstehen, der sollte auch nicht viel
darüber reden, was alle anderen tun sollten, der
sollte vielmehr endlich einmal auf den Tisch legen,
was er selber tun kann und will.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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