Rede im Deutschen Bundestag
am 16. Februar 2006 zum Thema Schulsport:
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich halte jetzt auch eine Jungfernrede, denn ich durfte
noch nie als letzter Redner zu so später Stunde
vor so viel Publikum sprechen. Ich bedanke mich im Voraus
für Ihre Aufmerksamkeit.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Die Kollegen haben ja schon alles Mögliche aus
der Sprint-Studie angeführt. In der Kürze
meiner Redezeit kann ich nur ein paar neue Aspekte hinzufügen.
Im Rahmen dieser Studie wurden die Schüler ja zum
ersten Mal befragt, wie sie Sportunterricht wahrnehmen,
was sie von ihm erwarten, was ihnen fehlt und was sie
stört.
nteressant ist, dass die Studie zutage gefördert
hat, dass im Unterschied zu früher Sportunterricht
inzwischen bei Schülern einen hohen Stellenwert
hat, ja mit am besten im Fächerkanon der Schule
angesehen ist und dass inzwischen auch die Schulleiter,
die Kollegen und die Eltern den Sportunterricht weitaus
höher einschätzen als früher. Umso bitterer
ist es, wenn dieser Unterricht häufig ausfällt.
Andererseits beklagen die Schüler, dass der Unterricht
oft nicht das bringt, was sie erwarten. Sie vermissen
Elemente, die sie aus der modernen Sportwelt
itbekommen. Was erwarten diese Schüler genau?
Sie wollen die neuen Freizeit- und Erlebnismöglichkeiten,
die es auf der Straße gibt, kennen lernen; das
würden sie gerne auch in der Schule vermittelt
bekommen. Ein anderer Punkt, über den sich beklagt
wird, sind die Leistungsanforderungen. Es ist richtig,
Herr Kollege Parr, dass herausgekommen ist, dass die
Schüler den Sportunterricht als einen Ort ansehen,
wo sie sich beweisen können, wo sie etwas leisten
können, wo sie gefordert werden wol¬len. Das
leistet schlechter Sportunterricht teilweise nicht.
Das Problem ist nicht, dass hier Kuschelpädagogik
betrieben wird.
(Detlef Parr [FDP]: Sehr wohl!)
Darum geht es nicht, sondern es geht um falsche Leistungsanforderungen.
Es stört die Schüler, wenn man an alle den
gleichen Maßstab legt, obwohl sie höchst
unterschiedlich sind, wenn man sich formaler Messmethoden
bedient, wenn man sie in althergebrachter Art und Weise
auf die immer gleiche Art und Weise Runden laufen und
immer nur dieselben alten Sportarten betreiben lässt.
(Detlef Parr [FDP]: Es geht um die individuelle Leistung!)
Hier liegt das Problem. Ein solcher Unterricht ist
nicht wirklich interessant für sie.
Ich komme nun zum Antrag der FDP. Hierzu wurde schon
einiges Kritisches gesagt.
Aus meiner Sicht ist dieser Antrag nicht Fisch und
nicht Fleisch. Er hat extrem zentralistische Züge
und ist sehr staatsfixiert – ganz im Gegensatz
zu dem, was Sie sonst immer fordern. Sie erwarten vom
Bund, dass er alles richtet.
(Detlef Parr [FDP]: Was? Sie müssen einen anderen
Antrag gelesen haben!)
– Nein, Sie müssen einmal Ihren eigenen
Antrag ernst nehmen.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Mehr Freiheit wagen!)
Es ist absurd, welche Forderungen Sie darin an die
Bundesregierung stellen. Das geht ja bis hin zur Aufforderung,
flächendeckend für eine angemessene Sportinfrastruktur
zu sorgen. Das ist aber nicht Aufgabe der Bundesregierung.
Was ist zu tun? Ich glaube, wir müssen das Sportkonzept
durch Einbeziehung moderner Sportarten und Schaffung
vielfältiger Bewegungs-, aber auch Auswahlmöglichkeiten
weiterentwickeln. Auf gar keinen Fall – da kann
ich dem Kollegen Gerster voll und ganz zustimmen –
kann die richtige Antwort die Rückkehr zu alten
Konzepten sein. Gerade die Sportartenpädagogik
ist in den Unterrichtsplänen längst überholt.
In allen Bundesländern geht man eher von modernen
Bewegungsfeldansätzen aus, die Sie in Ihrem Antrag
beschimpfen. Genau das, was Fortschritt bedeutet und
was die Schüler anerkennen, wollen Sie zugunsten
der alten Sportarten wieder abschaffen. Das ist beschränkt;
es ist kein Fortschritt und bringt uns nicht weiter.
Es ist, lieber Kollege, leider keine Wende im Sportunterricht.
Eine Wende ist übrigens auch gar nicht nötig.
Wir brauchen eine Weiterentwicklung, einen Sprung nach
vorne. Was Sie vorschlagen, ist jedoch eine Wende rückwärts,
jedenfalls in Teilbereichen. Sie erwähnen auch
den Gesundheitsaspekt; das ist gut. Aber in anderen
Bereichen bedeuten Ihre Forderungen keinen Fortschritt.
Ich finde, Ihr Antrag ist kein besonders intelligenter
Anstoß für eine Debatte über einen modernen
Sportunterricht.
Ich bedanke mich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei
der SPD)
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